Ebbe und Glut
Wohnzimmern anderer Leute fallen ließ.
»Was macht dein Roman?«, fragte Rocco unvermittelt, als Mia sich in einen Sessel setzte.
»Der wächst und gedeiht.« Sie riss eine Chipstüte auf. »Wenn es so weiter geht, bin ich Weihnachten fertig.«
»He, das ist ja großartig! Du solltest unbedingt möglichst bald ein Exposé schreiben und es an ein paar Agenten schicken. Die brauchen eh immer ewig, bis sie sich zurückmelden. Ich kann dir dabei helfen, wenn du willst.«
Rocco wirkte ehrlich interessiert, und Mia war ein wenig versöhnt. Er hatte ihr tatsächlich bereits einige gute Tipps zum Schreiben gegeben. Und er hatte sie, genau wie Frank, dazu ermutigt, Stunden in ihrem Job zu reduzieren. Seit einem Monat arbeitete sie nur noch dreißig Stunden pro Woche in der Agentur, den Rest der Zeit verbrachte sie mit ihrem Roman – mehr oder weniger jedenfalls. Sie hatte nicht geahnt, wie viel Disziplin es erforderte, aus eigenem Antrieb an einem so großen Projekt zu arbeiten.
Schmiddel setzte sich zu Rocco aufs Sofa.
»Und, hat Frank dir was Schönes gebastelt?«, fragte Rocco.
»Ja, ist super geworden«, sagte Schmiddel, nahm Rocco die Colaflasche aus der Hand, trank einen Schluck und stierte stumm auf den Fernseher. Schmiddel redete nie viel. Vielleicht mochten ihn all seine selbstverliebten Freunde deshalb so gern. Er machte ihnen ihr Gerangel um Aufmerksamkeit nicht streitig.
Frank kam ins Zimmer und verteilte Perücken.
»Für den Schlagermove«, erklärte er. Begeistert setzte Rocco eine Heino-Perücke auf und Schmiddel verliebte sich sofort in seine neue Jimi-Hendrix-Gedächtnis-Frisur. Frank trug ein knallblaues Monstrum, das wie ein Wischmob aussah. Auch Mia ließ sich breitschlagen, eine Perücke in Pink mit Pagenschnitt aufzusetzen. Es war ein großer Spaß, und auf den Schlagermove freuten sie sich alle jetzt schon, obwohl es noch drei Wochen bis dahin waren. In schrägen Klamotten zu fieser Partymusik in einem riesigen Umzug quer durch die Stadt zu laufen, war einfach nur witzig. Während Mia ihre Perücke schnell wieder absetzte, behielten die Männer ihre auf.
Plötzlich musste Mia lachen. Sie sahen einfach zu lächerlich aus, wie sie da zu dritt auf dem Sofa hockten und keine Miene verzogen, obwohl sie genau wussten, wie albern sie mit diesen schrillen Kopfbedeckungen wirkten. Auf Franks T-Shirt prangte passenderweise der Spruch: »Wir sind zwar zu nichts zu gebrauchen, aber dafür zu allem fähig.«
»Jungs, ihr seht fabelhaft aus«, kicherte Mia und hielt diesen denkwürdigen Moment mit ihrer Digitalkamera fest.
Spätestens bei dieser seltsamen Küchenorgie, die kurz darauf stattfand, hätte sie misstrauisch werden müssen. Aber nach über fünf Jahren an Franks Seite war sie es gewohnt, ihn in schrägen Situationen vorzufinden. Seine Liebe zum Kostümieren, zu theatralischen Szenen, zu schrillen Auftritten überraschte sie nicht mehr.
Es war an einem grauen Tag im Juni. Mia ging mit Annika ins Kino. Trotz des bleiernen Himmels war es immer noch hell, als sie nach Hause kam. Sie freute sich darauf, den Tag in aller Ruhe mit Frank ausklingen zu lassen.
Vor ihrem Haus parkte Roccos uralter, gelber Jetta. Also würden sie wohl zu dritt auf dem Sofa sitzen. Wieder einmal. Seufzend schloss Mia die Wohnungstür auf. Aus dem Wohnzimmer dröhnte ihr schallendes Gelächter entgegen. Das klang eindeutig nach mehr als zwei Personen. Franks Stimme war jedoch nicht dabei. Sie ertönte aus der Küche. Mia steckte ihren Kopf durch die offene Küchentür.
Das erste, worauf ihr Blick fiel, war Roccos nackter Hintern (der, wie sie widerstrebend zugeben musste, ausgesprochen knackig aussah). Das zweite war die umgestülpte Salatschüssel auf seinem Kopf. Frank stand am Herd, und auch er zeigte Mia einen nackten Hintern.
»Was ist denn hier los?«, fragte sie und wusste nicht, ob sie lachen oder schockiert sein sollte.
Rocco drehte sich um und grinste breit. Er trug außer der Salatschüssel nur eine kurze Schürze, die notdürftig sein Gemächte verdeckte. Auch Franks Kleidung beschränkte sich auf eine Schürze – die immerhin deutlich länger als Roccos war – und ein Abtropfsieb als Hut.
»Süße, du bist ja schon da.« Er blickte ein wenig schuldbewusst drein.
» Schon ist gut. Es ist halb elf. Der Film hatte keine Überlänge, und du weißt doch, dass Annika wegen ihres Kleinen immer früh heimgeht.« Sie sah die beiden Männer prüfend an. »Was zum Teufel macht ihr hier eigentlich?«
»Wir
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