Ebbe und Glut
einfach ignorieren? Das war auch nicht möglich.
Aus lauter Hilflosigkeit tat Mia gar nichts. Sie wartete ab und hoffte, dass Arthur den ersten Schritt machen würde. Doch der schwieg ebenfalls – vermutlich ähnlich hilflos wie sie.
Es war bereits Mai, als sie sich zufällig bei Elbzeug wieder über den Weg liefen. Mia kam von einem Meeting mit Ulrich Hampel und sah Arthur schon von weitem. Er stand mit einigen Leuten im Flur und nickte ihr kurz zu, als sie an ihm vorbei ging. Mia lächelte unsicher und ging rasch weiter, das Klackern ihrer Absätze dröhnte in ihren Ohren. Auf dem Parkplatz wurde sie von einer Grafikerin aufgehalten, mit der sie eng zusammenarbeitete. Sie sprachen einige Minuten über die Probleme bei der Farbgebung für eine Broschüre. Mia war schon fast auf der Straße, als Arthur sie einholte und sein silberner Mercedes langsam neben ihr zum Stehen kam.
Arthur drehte die Scheibe herunter. »Soll ich dich mitnehmen?«, fragte er.
»Gerne.« Erfreut stieg Mia in sein Auto. Das war ein guter Anfang.
Während Arthur den Wagen geschickt in den dichten Berufsverkehr einfädelte, überlegte Mia krampfhaft, was sie sagen sollte. Zu ihrer Erleichterung kam Arthur ihr zuvor.
»Hast du Zeit für einen Kaffee?«, fragte er schnell und unvermittelt.
Mia nickte, und den Rest der Fahrt klammerten sie sich an die Frage, wo sie hingehen könnten und ob Arthur dort um diese Zeit einen Parkplatz finden würde.
Sie entschieden sich für ein Café in Arthurs Viertel, in dem sie sich in steriler Anonymität zurückziehen konnten. Verlegen rührten sie in ihrem Kaffee und hielten sich ewig an Belanglosigkeiten fest, bis Arthur endlich sagte:
»Weißt du, ich wollte dir das mit meiner Frau nicht am Telefon sagen. Ich hätte dir das gerne anders erklärt.«
Mia fand es befremdlich, wie Arthur meine Frau sagte. So selbstverständlich und besitzergreifend. Das passte gar nicht zu dem Mann, den sie immer für einen einsamen Wolf gehalten hatte, der sein Leben lang auf der Jagd zu sein schien und eigenwillige Obsessionen pflegte.
»Du musst dich nicht entschuldigen«, sagte sie. »Ich bin es, die sich entschuldigen muss. Ich habe ein paar ziemlich unhöfliche Dinge zu dir gesagt.«
Arthur grinste. »Das stimmt. Ich erinnere mich daran, dass du mir sogar Gewalt angedroht hast. Du kannst wirklich furchteinflößend sein, wenn du wütend bist.«
Mia lachte erleichtert auf. Sie war dankbar, dass Arthur versuchte, seine und ihre Verlegenheit mit Humor zu überspielen. Zögernd tastete sie sich vorwärts. »Mit deiner Frau … wie lange ist das her?«
»Drei Jahre. Es ist ein paar Wochen nach der Spiekeroogreise passiert, auf der wir dir und deiner Freundin begegnet sind.«
Mia war entsetzt. Darum hatte Carol nie mehr geantwortet. Sie war einfach gestorben.
»Was ist denn damals passiert? Ich meine, Carol war doch nicht krank, oder?«
»Sie hatte einen Autounfall.«
Als Arthur keine weiteren Erklärungen hinzufügte, fragte Mia: »Und wie lange wart ihr zusammen?«
»Acht Jahre.«
»Das muss schrecklich für dich sein.«
»Das ist es auch.«
Mia war enttäuscht, dass Arthur nicht mehr erzählte. Sie hatte geglaubt, seine Einladung zum Kaffee würde bedeuten, dass er ihr lang und breit das ganze Ausmaß seiner Tragödie erklären wollte.
Stattdessen sagte er nur: »Es fällt mir nicht leicht, darüber zu reden. Ich wollte nur, dass du weißt, woran du bist.« Seine Finger spielten nervös mit dem Kaffeelöffel. »Es tut niemandem weh, wenn ich mich mit dir verabrede.« Die Finger unterbrachen ihr Spiel. »Und ich verabrede mich gerne mit dir. Das wollte ich dir einfach sagen.«
Es freute sie, dass er das sagte. Und wie er es sagte. So warm und freundlich. »Ich verabrede mich auch gerne mit dir.« Sie erwiderte sein Lächeln.
Arthur beugte sich ein wenig vor. »Hast du es eigentlich gewusst?«
»Was?«
»Dass wir uns schon mal begegnet sind. Ich meine, hast du mich wiedererkannt?«
»Nein. Ich habe mich erst wieder erinnert, nachdem du bei mir warst und das Foto entdeckt hast.«
»So ging es mir auch.« Arthur klang erleichtert. »Seltsam, oder? Ich meine, dass wir uns beide nicht erinnern konnten.«
»Ja, seltsam. Aber es war ja auch nur eine ziemlich kurze Begegnung. Und seitdem ist so viel passiert, dass dieser Urlaub für mich total in Vergessenheit geraten war. Irgendwie fand der in einem anderen Leben statt.«
Sie sahen sich an, in stummem Einvernehmen, und zum ersten Mal spürte Mia eine
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