Ebbe und Glut
wenn Carol anfing, zu dramatisieren. Er hatte ein Problem ganz sachlich angesprochen, aber sie hob es gleich auf diese globale Ebene, auf der er nicht mehr mitkam. Was interessierten ihn andere Leute? Es ging doch nur um sie beide, um ihre Gefühle. Natürlich liebte er Carol genug, um Durststrecken zu überbrücken, das war doch gar keine Frage. Aber reichte ihre gemeinsame Liebe auch, um Kompromisse auszuhandeln, vielleicht sogar die eigene Karriere zurückzuschrauben? Und vor allem - war jetzt der richtige Zeitpunkt, um an Kinder zu denken? Er war sich da nicht so sicher – und erschrak gleichzeitig über seine nüchterne Bestandsaufnahme. Eben noch hatte er so viel Liebe für Carol verspürt, dass es nicht auszuhalten war, und jetzt fühlte er plötzlich eine Kälte, die ihn selbst erschreckte.
Er musste in Ruhe darüber nachdenken, bevor sie sich hier weiter die Köpfe einschlugen.
»Fakt ist, dass keiner von uns auf seine Karriere verzichten will«, sagte er, nicht, weil er die Diskussion fortsetzen wollte, sondern nur, um sich halbwegs elegant daraus zu verabschieden. »Die Frage ist nur, wie wir damit in Zukunft umgehen. Das ist alles.« Zum Zeichen, dass er nicht bereit war, weiter zu reden, stand er auf. »Wir müssen los.«
Sie waren bei Freunden zum Barbecue eingeladen. Eigentlich hatten sie das ganze Wochenende dort verbringen wollen, aber dann erhielt Arthur am Samstag einen wichtigen Anruf und verbrachte anschließend den halben Tag an seinem Rechner, bis sie die Fahrt verschoben hatten. Carol nahm das klaglos hin und nutzte die Zeit, um selbst auch ein bisschen zu arbeiten.
Im Grunde kamen sie nie zur Ruhe, stellte Arthur fest. Wenn sie nicht arbeiteten, überbrückten sie riesige Distanzen, um sich zu sehen, mal hier, mal da, wie es zeitlich gerade passte. In dieser Woche hatte Arthur in San Francisco zu tun, also verbrachten sie das Wochenende hier in einem Hotel, ohne die Gemütlichkeit ihrer eigenen vier Wände und übermüdet vom Jetlag. Arthur hatte das so satt! Und er ertrug diese ewigen Diskussionen nicht mehr.
Aber Carol ließ nicht locker.
»Also willst du kein Kind?«
»Nein. Nicht so lange wir nicht dauerhaft zusammenleben.«
Arthurs klare Antwort verletzte sie. Er sah das, aber er war nicht in der Lage, ihr etwas Tröstendes zu sagen.
Verzweifelt machte Carol einen Vorschlag, hinter dem sie ihre maßlose Enttäuschung verbarg: »Dann machen wir es eben so, dass du die nächsten Jahre Reichtümer in Singapur anhäufst und ich so lange meinen eigenen Projekten nachgehe. Anschließend haben wir immer noch alle Zeit der Welt, um zusammenzuziehen und den Rest unseres Lebens in trautem Familienglück zu verbringen.«
Eigentlich klang das nach genau dem Kompromiss, den sie brauchten. Doch Arthur schüttelte den Kopf. »Wir machen das jetzt schon seit Jahren so. Ich glaube nicht, dass wir das noch weitere drei Jahre oder sogar noch länger durchstehen.«
» Wir vielleicht nicht. Ich schon.« Carol glühte vor Zorn. »Außerdem hast du dich für Singapur entschieden. Wenn es nach mir ginge, könnten wir gemeinsam in New York leben. Aber mir scheint, das willst du gar nicht. Vielmehr habe ich langsam den Eindruck, dass du unsere ganze Ehe in Frage stellst. Wenn das so ist – bitte, ich stehe dir nicht im Weg. Geh, wenn du glaubst, dass du es mit mir nicht länger aushältst.«
Wütend schlug Arthur mit der flachen Hand auf den Tisch.»Verdreh doch nicht alles, was ich sage. Ich habe nie gesagt, dass ich es mit dir nicht aushalte. Im Gegenteil, weil ich es so gut mit dir aushalte, habe ich so große Mühe mit einer Fernbeziehung. Ist das so schwer zu begreifen?«
Carol ließ sich nicht einschüchtern. Das Schlimme dabei war, dass sie wunderschön aussah, wenn ihre Augen vor Zorn funkelten und ihre Stirn sich vor Ärger zusammenzog. »Wenn du es so gut mit mir aushältst, dann respektiere bitte auch, dass mein Bild von Familie ein anderes ist als deines. Ich bin durchaus in der Lage, auch in einer Fernbeziehung glücklich zu sein und sogar Kinder aufzuziehen.«
Darauf wusste Arthur nichts mehr zu sagen. Wütend stand er auf und ging ins Badezimmer. Carol blieb nicht weniger wütend zurück. Das war wieder mal typisch Arthur. Wenn ihm die Argumente ausgingen, verdrückte er sich einfach.
Die Stimmung im Auto war eisig. Und sie wurde arktisch, als sie nach nur wenigen Kilometern auf dem Highway in einen Stau gerieten. Es war ein sonniger Sommertag, an dem alle Welt hinaus aus der
Weitere Kostenlose Bücher