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Ebbe und Glut

Ebbe und Glut

Titel: Ebbe und Glut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katharina Burkhardt
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den Kopf zu heben. »Erst schien es mir völlig unpassend, und später dann … na ja, ich fand, dass es dich nichts anging.«
    »Und jetzt geht es mich doch etwas an?«
    »Jetzt kann ich es nicht mehr ändern.« Arthur sah zu der Prothese hinüber. »Ich muss das verdammte Ding schließlich auch mal ablegen. Aber nachdem ich vorhin so durchgedreht bin, schätze ich, dass dich sowieso nichts mehr erschüttern kann. Erst entpuppe ich mich als Irrer, und dann auch noch als Krüppel. Schlimmer geht’s kaum, oder?« Er klang entsetzlich bitter. »Aber ich habe es wohl nicht anders verdient.«
    »Unsinn! Niemand hat so was verdient.« Mia vermied es, auf Arthurs linkes Bein zu schauen, das irgendwo unter dem Stoff seiner Jeans einfach endete.
    Arthur richtete sich ein wenig auf. Mit einem eigenartigen Blick sagte er: »Soll ich dir sagen, warum ich nicht aufgepasst und den anderen Wagen übersehen habe? Weil meine Frau an mir rumgefummelt hat.«
    »Rumgefummelt? Was soll das denn heißen?«
    »Das heißt, was es heißt. Wir haben uns geküsst und Carol hatte ihre Hand in meiner Hose. Ich war so abgelenkt, dass ich den anderen Wagen erst bemerkt habe, als schon alles zu spät war. Ich verstehe bis heute nicht, warum keiner der Zeugen gesehen hat, wie wir rumgeknutscht haben.« Seine Stimme klang kalt und zornig, und als er Mias Bestürzung bemerkte, verzog er abfällig den Mund. »Und jetzt sag du mir noch einmal, dass ich keine Schuld an diesem verdammten Unfall habe.«
    »Aber … aber warum?« Mia hob hilflos die Hände.
    »Wir hatten an dem Morgen einen total bescheuerten, überflüssigen Streit. Und im Auto haben wir uns dann versöhnt. Eine grandiose Idee, nicht wahr?« Arthurs Lachen klang rau und hart. »Nur zwei Idioten wie Carol und ich kommen auf so was. Vor allem Carol … meine Güte … sie brauchte irgendwie immer Sex zum Versöhnen, als müsse sie mir so nah wie möglich kommen, um sich meiner Liebe sicher zu sein.«
    »Aber ihr habt euch noch versöhnt, ja?«
    »Oh ja!« Arthurs Augen waren dunkle Scheiben, seine Gesichtszüge versteinert. »Carol hat mir gesagt, dass sie mich liebt und sich ein Kind von mir wünscht. Und ich habe gesagt, wie sehr ich mich darüber freue. Eine Minute später war sie tot. Ich wette, irgendwo da oben hat sich jemand kaputtgelacht über diesen wunderbaren Gag.«
    »Aber ihr habt euch versöhnt«, beharrte Mia. »Stell dir vor, sie wäre gestorben, ohne dass ihr euch versöhnt hättet. Das wäre viel, viel schrecklicher.«
    Arthur schwieg einen Moment. »Ich weiß nicht,« sagte er leise.
    Zusammengesunken hockte er auf dem Bett. Er sah auf einmal klein und zerbrechlich aus, und als er eine Hand vor seine Augen presste, erkannte Mia bestürzt, dass er weinte.
    Zögernd setzte sie sich neben ihn und legte ihm zaghaft einen Arm um die Schultern. Doch wie schon an der Autobahn reagierte er mit steifer Reglosigkeit auf ihre Berührungen. Mia wusste nicht, was sie sagen sollte. Nichts schien Arthur zu trösten oder ihm zu helfen. Stumm weinte er vor sich hin. Vorsichtig begann Mia seinen Rücken zu streicheln. Arthur atmete tief durch, allmählich beruhigte er sich wieder und wandte sich Mia zu. In seinem Blick lag eine Verzweiflung, die sie tief berührte. Behutsam schob sie eine Hand zwischen Arthurs halb geöffnetes Hemd und legte sie zart auf seine Brust. Arthurs Herz raste wie bei einem aufgeschreckten, kleinen Vogel. Mias Finger ertasteten eine Unregelmäßigkeit auf seiner Haut, einen dünnen Streifen, der sich glatter und fester anfühlte als die Haut darum herum.
    Arthur schob Mias Hand fort und begann, sein Hemd aufzuknöpfen. Seine Finger zitterten so stark, dass er Mühe hatte, die Knöpfe zu öffnen.
    Mia legte beruhigend ihre Hand auf seine. »Du musst das nicht machen«, sagte sie sanft.
    Arthur schüttelte verzweifelt den Kopf. »Wenn ich es jetzt nicht schaffe, hier vor dir, dann schaffe ich es nie mehr.«
    Hilflos beobachtete Mia Arthurs Kampf mit seinem Hemd und war fast erleichtert, als er es endlich ausgezogen hatte.
    Zum Vorschein kam ein durchtrainierter Oberkörper. Eine muskulöse, kaum behaarte Brust, breite Schultern, kräftige Arme, ein flacher Bauch. Für einen Mann in seinem Alter sah Arthur sehr gut aus. In der ersten Sekunde fragte Mia sich, warum er eigentlich so ein Theater machte.
    Dann sah sie die Narben. Eine große lief quer über sein rechtes Schlüsselbein zur Schulter hinunter. Sie war fein und kaum sichtbar. Auffälliger waren zwei breite,

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