Ebbe und Glut
der Männer, die am Abend zuvor im Schankraum gesessen hatten, trat an den Tresen heran. Mia mochte in seiner Gegenwart die nächste Frage kaum stellen, aber ihr blieb nichts anderes übrig. »Er hatte es so eilig, dass er schon abgereist ist? Und wie soll ich jetzt nach Hause kommen?«
Die Wirtin musterte Mia abschätzend. Was auch immer zwischen diesem seltsamen Paar gelaufen war, es ging sie ja nichts an. Aber ein wenig Mitleid hatte sie nun doch mit Mia, die wie vom Donner gerührt vor ihrem Tresen stand. »Na, mit dem Wagen da draußen, nehme ich an.«
Mia folgte ihrem Blick und sah durchs Fenster Arthurs silbernen Mercedes auf dem Parkplatz stehen. Jetzt war sie erst recht verwirrt. »Und wie ist mein Kollege nach Hamburg gekommen?«
»Jemand hat ihn mitgenommen. Die sind schon um kurz nach sechs hier los.«
»Stimmt«, mischte sich jetzt der andere Gast ein, ein großer Mann mit Tätowierungen auf den dicken, nackten Oberarmen. »Paule hat den doch mitgenommen. Ich hab sie noch durchs Fenster gesehen.« Er grinste breit. »Tja, Lady, da kommen Sie wohl ein bisschen zu spät.«
»Sieht ganz so aus.« Wütend drängte Mia sich an ihm vorbei und verzog sich in den Frühstücksraum.
Die Lust auf einen Spaziergang war ihr vergangen. Sie wollte so schnell wie möglich nach Hause. Aber vorher brauchte sie dringend einen Kaffee. Was zum Teufel hatte sie Arthur getan, dass er sie einfach sitzen ließ? Sie verstand das nicht.
Ein träges, dickes Mädchen brachte ihr Kaffee und Brötchen. Als es wieder fort war, öffnete Mia den Umschlag.
Er enthielt Arthurs Autoschlüssel und einen Zettel, der aus einem Notizbuch gerissen und mit einer schwungvollen Handschrift beschrieben worden war.
»Liebe Mia, bist du so nett und fährst mein Auto heim? Du weißt ja jetzt, wie es funktioniert. Danke dafür! Und für alles andere erst recht. Alles Liebe, Arthur.«
Keine Erklärung. Kein Wort der Entschuldigung. Mia starrte so lange auf den Zettel, bis die Buchstaben vor ihren Augen tanzten. Und nach diesem Mann hatte sie sich letzte Nacht in ihrem Bett gesehnt. Ihr wurde ganz flau. Sie schien tatsächlich ausgesprochen talentiert darin zu sein, sich in Männer zu verlieben, die sie schlecht behandelten und demütigten.
Wenigstens reiste sie komfortabel. Jetzt, wo sie Arthurs prüfenden Blick nicht mehr auf sich spürte, sah sie sich in ihrem Reisegefährt erst einmal in aller Ruhe um. Sie stellte die wunderbar bequemen Ledersitze perfekt auf ihre Bedürfnisse ein und probierte so lange herum, bis sie die Schalter fand, mit denen sich das Schiebedach öffnen ließ. So ein S-Klasse-Wagen war doch etwas anderes als der Opel Corsa, den sie zuletzt gefahren hatte.
Obwohl Mia sich noch nie sonderlich für Autos erwärmt hatte, erfasste sie eine gewisse Faszination, als Arthurs Luxuslimousine sie dank des elektronischen Abstandreglers und diverser anderer Raffinessen sicher durch den dichten, morgendlichen Verkehr bugsierte. Kein Wunder, dass Arthur mit seiner Behinderung so ein vollautomatisches Auto fuhr. Da fiel überhaupt niemandem auf, dass er zum Beispiel gar nicht in der Lage gewesen wäre, mit seiner Prothese ein Kupplungspedal zu bedienen.
Während der Wagen wie von selbst fuhr, hatte Mia Zeit genug, über Arthur nachzudenken. Doch je länger sie sich mit ihm beschäftigte, desto wütender wurde sie. Wütend vor allem auf sich selbst, weil sie so viel Nähe zugelassen und sich tatsächlich in diesen Kerl verliebt hatte. Was erwartete sie denn? Dass Arthur ihre Gefühle erwidern würde? Nein, gewiss nicht. Sie wollte ja selbst nicht, dass sich zwischen ihnen mehr entwickelte. Arthur und sie waren so grundverschieden, sie würden nie eine wie auch immer geartete gemeinsame Zukunft haben.
Trotzdem kränkte Arthurs Verhalten sie. In den letzten Monaten war zwischen ihnen ein freundschaftlicher Kontakt entstanden, der auf gegenseitiger Achtung basierte. Jedenfalls hatte Mia das geglaubt. Und nun so etwas. Das ließ sich auch nicht mit Arthurs angeschlagenem Seelenzustand erklären. Es war einfach nur rücksichtslos und egoistisch.
Mit so einem Mann wollte Mia nichts mehr zu tun haben.
Die Tiefgarage zum Haus war verschlossen. Natürlich. Daran hatte Arthur nicht gedacht. Mia parkte den Wagen auf der Straße, wo er sich in guter Gesellschaft mit einem Jaguar und einem Porsche befand. Was für eine ekelhaft versnobte Gegend, dachte Mia angewidert.
Die Haustür war natürlich auch verschlossen. Arthur hatte beim
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