Echo des Blutes: Thriller (German Edition)
dann sicher auch.«
Jessica zog blitzschnell die Kreditkarte aus der Tasche, um zu bezahlen, bevor Rory noch mehr einfiel.
Noch immer wie benommen schwebte Sophie zum Parkplatz. Sie hielt das Kleid fest umklammert, als würde Monica Quagliata hinter dem nächsten SUV lauern – Monica, die ihr das Kostüm von Fairy, der Schneeflockenfee, klauen wollte.
Als sie an ihrem Wagen ankamen, beobachtete Sophie ihre Mutter ganz genau, die das Kostüm an den Haken neben die Rückbank hängte und erklärte, das sei für die kurze Fahrt ein sicherer Platz. Sophie setzte sich neben das Kostüm und schnallte sich an.
Ehe Jessica den Motor startete, überquerte eine Familie – Mutter, Vater, zwei Jungen, zwei Mädchen – die Straße. Jessica drehte sich zu Sophie um.
»Haben deine Freundinnen Brüder oder Schwestern?«, fragte Jessica. Es war eine rhetorische Frage, doch ein guter Einstieg für das Gespräch, das folgen sollte.
Sophie dachte nicht lange darüber nach, sondern nickte nur.
»Hast du dir schon mal gewünscht, einen Bruder oder eine Schwester zu haben?«
Sophie zuckte mit den Schultern. »Manchmal.«
»Was würdest du davon halten, einen Bruder zu haben?«
»Einen Bruder?«
»Ja.«
»Einen Jungen?«
Jessica lachte. »Ja, mein Schatz. Einen Jungen.«
Sophie dachte kurz nach. »Jungen sind okay. Sie wollen immer alles bestimmen, aber sonst sind sie ganz okay, glaub ich.«
Jessica brachte Sophie zur Schule und hielt am Old City Coffee in der Church Street kurz an. Draußen besorgte sie sich einen Inquirer und ein Freiexemplar des Report , des schlimmsten Boulevardblatts in Philadelphia, und das wollte schon etwas heißen. Wie zu erwarten, wurde die Mordserie in großer Aufmachung auf der ersten Seite gebracht.
Philly Noir, die Geometrie der Rache , lautete die reißerische Schlagzeile.
Jessica warf den Report in den Müll und klemmte sich den Inquirer unter den Arm. Sie stieg in den Wagen und fragte sich, wie es Byrne wohl erging.
Haben Sie sie schon gefunden? Den Löwen, den Hahn und den Schwan? Gibt es noch andere?
Was hatte Christa-Marie Schönburg mit alldem zu tun?
Jessica schaute aufs Handy. Kein Anruf von Byrne.
Die wichtigste Aufgabe des Jugendamtes bestand darin, einzuschreiten und vernachlässigte, missbrauchte und verlassene Kinder zu schützen sowie für ihr Wohlergehen zu sorgen, wenn unmittelbare Lebensgefahr bestand oder ihr Leben in anderer Weise gefährdet war.
Die Abteilung für Kinder-und Jugendhilfe kümmerte sich jedes Jahr um mehr als zwanzigtausend Kinder und ihre Familien.
Das Hauptbüro war in der Arch Street 1515, doch es gab auch in der ganzen Stadt verschiedene Einrichtungen, unter anderem Sozialstationen für die Kurzzeitunterbringung und Kinderheime für langfristige Aufenthalte.
Jessica parkte vor dem Hosanna House, einem frei stehenden Gebäude in der Zweiten Straße. Sie meldete sich an der Rezeption an und ging in den Aufenthaltsraum auf der Rückseite des Gebäudes. Der Lärm von einem Dutzend Kleinkindern, die sich am frühen Morgen austobten, hallte ihr entgegen. Es roch nach Orangensaft und Buntstiften.
Carlos saß mit zwei kleinen Mädchen und einer jungen Frau von etwa zwanzig Jahren an einem Tisch. Er trug eine rote Strickjacke und sah reizend aus.
Jessica beobachtete ihn ein paar Minuten. Kinder ließen sich nicht so schnell unterkriegen, schoss es ihr durch den Kopf. Noch vor zwei Wochen war das Leben dieses kleinen Jungen die reinste Hölle gewesen.
Jessica, die schon oft mit missbrauchten und vernachlässigten Kindern zu tun gehabt hatte, wusste aber, dass es oft lange dauerte, bis Trauer, Wut und Angst allmählich nachließen. Ein Großteil der Männer und Frauen, die sie in den letzten fünf Jahren verhaftet hatte, stammte aus zerrütteten Familien.
Carlos hob den Blick. Als er sie sah, stand er auf, rannte durch den Raum und schlang die Arme um sie. Dann lief er sofort zurück, nahm ein Blatt vom Tisch, rannte zu Jessica zurück und gab es ihr.
Es war eine mit Malstiften angefertigte Zeichnung eines Raumes, vermutlich des Wohnzimmers, in dem Carlos mit seiner Mutter gewohnt hatte. Jessica glaubte, einen Stuhl und einen Tisch zu erkennen. In einer Ecke stand eine Frau mit zerzaustem schwarzem Haar und Augen, die so groß waren wie der ganze Kopf. Patricia Lentz, Carlos’ leibliche Mutter, hatte aschblondes Haar.
Jessica begriff schnell, dass sie die Figur auf dem Blatt sein sollte. Hinter ihr schien eine helle Sonne. Jessica hatte das Gefühl,
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