Echo des Blutes: Thriller (German Edition)
ihr Herz würde vor Freude zerspringen.
Sie schaute auf den Tisch in Carlos’ Bild. Auf dem Tisch lag etwas, das Jessica mühelos erkannte. So malte ein Zweijähriger eine Waffe.
Plötzlich spürte Jessica Traurigkeit in sich aufsteigen. Sie verdrängte sie.
»Darf ich das haben?«, fragte sie Carlos.
Carlos nickte.
»Stell dich mal gerade hin und lass dich anschauen.«
Carlos stellte sich aufrecht hin. Sein Haar war gekämmt, das Gesicht gewaschen, und der Pullover und die Hose sahen neu aus.
»Das ist ein schöner Pullover«, sagte Jessica.
Carlos kicherte und schaute auf den Pullover. Er drehte an einem Knopf, doch dann besann er sich eines Besseren. Er war zwei und kannte seine Grenzen.
Carlos drehte sich zum Tisch um und streckte seine kleine Hand aus. Jessica nahm den Kleinen an die Hand und ging mit ihm zum Tisch. Er setzte sich hin und begann mit einem neuen Bild.
»Hi«, sagte Jessica.
Die junge Frau, die ebenfalls an dem Picknicktisch aus Kunststoff saß, hob den Blick. »Hi.«
Jessica zeigte auf die Zeichnung in ihrer Hand. »Das ist sehr gut für einen Zweijährigen. Ich konnte in dem Alter noch keine gerade Linie ziehen. Kann ich immer noch nicht.«
Die junge Frau lachte. »Willkommen im Klub.« Sie wandte sich Carlos zu und strich ihm durchs Haar. »Er ist so ein hübscher Junge.«
»Ja, das ist er.«
»Für solche Wimpern würde ich alles geben.«
»Arbeiten Sie als Betreuerin hier?«
»Nein«, erwiderte die junge Frau. »Ich helfe nur aus. Ich arbeite einmal pro Woche ehrenamtlich hier.«
Jessica nickte. Die junge Frau wirkte kompetent, aber sie sah traurig aus. Manchmal fühlte Jessica sich genauso. Es war kaum möglich, all die Dinge, die sie jeden Tag erlebte, zu sehen und sie nicht an sich heranzulassen. Vor allem wenn es um Kinder ging. Jessica schaute auf die Uhr. Gleich begann ihre Schicht.
»Ich habe mich gefreut, Sie kennenzulernen«, sagte sie.
»Ich mich auch.«
Jessica streckte die Hand aus. »Ich bin übrigens Jessica.«
Die junge Frau stand auf und reichte ihr die Hand. »Lucy«, sagte sie. »Ich heiße Lucy Doucette.«
47.
Jessica spürte wieder Melancholie in sich aufsteigen, als sie an ihrem Wagen ankam. Die Zeichnung, die Carlos ihr gegeben hatte, wärmte ihr das Herz. Es würde lange dauern, bis seine Erinnerungen verblassten. Muteten sie sich mit der Adoption vielleicht doch zu viel zu?
Als Jessica die Autotür öffnete, hörte sie, dass sich jemand näherte. Sie drehte sich um. Es war Martha Reed, die Leiterin des Hosanna House. Martha war Anfang fünfzig, mollig, aber voller Energie. Sie hatte intelligente blaue Augen, denen nichts entging.
»Carlos sieht gut aus«, sagte Jessica. »Er sieht … glücklich aus.« Das war ein wenig übertrieben, aber ihr fiel auf die Schnelle nichts anderes ein.
»Er lebt sich allmählich ein«, sagte Martha Reed, die schon etliche Jahre in dem Job tätig war. Sie wühlte in ihrer Tasche und holte ein BlackBerry heraus. Sie tippte auf ein paar Symbole und öffnete den Kalender. »Könnten Sie heute gegen elf Uhr mit Ihrem Mann hier sein?«
Jessicas Herz begann laut zu klopfen. Es ging um das Adoptionsgespräch. Sie hatte gewusst, dass der Augenblick kommen würde, aber jetzt fragte sie sich, ob sie dem überhaupt gewachsen war. »Ja. Wir werden da sein.«
Mit verschwörerischer Miene schaute Martha sich um und senkte die Stimme. »Unter uns gesagt, stehen die Chancen gut. Das darf ich Ihnen eigentlich nicht sagen, aber die Chancen stehen gut.«
Jessica hinterließ eine dicke Staubwolke, als sie vom Parkplatz fuhr. Noch ehe sie in die Zweite Straße einbog, klingelte das Handy in ihrer Hand. Es war Dana Westbrook.
»Morgen, Boss. Was gibt’s?«
»Ich habe gerade den Bericht über Novaks Beschattung erhalten.«
»Okay.«
»Ein Detective vom Polizeibezirk West hat ihn die ganze Nacht beschattet. Ein erfahrener Mann, der schon in der Bekämpfung des organisierten Verbrechens und in Sondereinheiten der Drogenfahndung tätig war. Er saß während der ganzen Schicht im Auto vor dem Haus. Vom Beginn der Beschattung bis sechs Uhr morgens brannte kein Licht in der Wohnung, und es gab keinerlei Aktivitäten. Gegen acht Uhr heute Morgen zog er eine Jacke von den Wasserwerken an, nahm ein Klemmbrett, ließ sich vom Hausmeister die Eingangstür aufschließen und klopfte an Novaks Tür. Es öffnete niemand. Daraufhin ging der Detective um das Haus herum, stieg die Feuerleiter hinauf und schaute durchs Fenster.«
»War Novak
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