Echo des Blutes: Thriller (German Edition)
getrieben hatte. Sie dachte an den Papierstreifen, der um den Kopf des Opfers gewickelt war, an den geraden Schnitt auf der Stirn und …
Als Jessica plötzlich ein lautes Geräusch unmittelbar neben ihrem linken Ohr hörte, zuckte sie zusammen. Sie wirbelte herum und öffnete instinktiv das Waffenholster.
Byrne hatte mit seinem Ring an die Scheibe geklopft. Jessica öffnete langsam das Fenster und ließ ihn im Regen stehen.
»Und dann wundern die Leute sich, wenn sie plötzlich eine Kugel im Kopf haben«, sagte sie.
»Ich könnte die Ruhe brauchen.«
Jessica konnte es sich nicht verkneifen, sich beim Aussteigen viel Zeit zu lassen, um sich für das laute Klopfen zu rächen. Eine Minute später betraten sie das Gebäude, schüttelten den Regen ab und gingen auf die Aufzüge zu.
»Hast du noch mal mit Sharon Beckman gesprochen?«, fragte Jessica.
Byrne schüttelte den Kopf. »Sie war nicht zu Hause«, sagte Byrne. »Und Spicoli auch nicht.«
Er meinte natürlich Jason Crandall und spielte auf die Rolle von Sean Penn in Ich glaub, ich steh im Wald an. Jessica wunderte sich immer wieder, wie gut Kevin sich mit Filmen auskannte.
In dem großen Kellergeschoss wurden die Akten von Tausenden von Verbrechen aufbewahrt, einige waren schon zweihundert Jahre alt. Es war die Hinterlassenschaft der dunklen Seite dieser Stadt: Namen, Daten, Waffen, Wunden, Zeugen. Was fehlte, waren die Beweise für den Verlust, den die Menschen erlitten hatten. Es gab keine Akten über die Tränen eines Vaters, die Einsamkeit eines Sohnes oder die einsamen Sonntage einer Großmutter.
Stattdessen standen in dem riesigen Keller unzählige Reihen hoher Stahlregale, von denen einige sieben Meter hoch und die alle mit Tausenden von Kartons gefüllt waren. Auf allen klebte ein weißer Aufkleber mit dem Namen des Verstorbenen, der Nummer des Falls und der Jahreszahl.
Sie teilten die Beckman-Akten auf. Byrne las die Zeugenaussagen sowie die rechtsmedizinischen und kriminaltechnischen Berichte, während Jessica die Polizeiberichte und die Anmerkungen des leitenden Detectives durchsah.
In der Akte befand sich auch ein Foto von Antoinette Chan. Sie war eine hübsche junge Frau gewesen, mit makelloser Haut und einem betörenden Lächeln. Jessica schaute sich das Foto an und las dann den Polizeibericht über Beckman.
Kenneth Arnold Beckman, geboren 1970, stammte aus Brewerytown in Philadelphia. Zu der Zeit, als Antoinette Chan ermordet wurde, arbeitete er als Handwerker in zwei großen Mietshäusern in Camden und wohnte auf der Lenox Avenue in Nicetown/Tioga.
Im Alter von neunundzwanzig Jahren war er bereits fünf Mal wegen Einbruchs verhaftet und zwei Mal wegen des Besitzes von Diebesgut verurteilt worden.
An Halloween 2001 ging Beckman mit seinem zehnjährigen Stiefsohn zur Achtzehnten Straße, wo der Junge zwischen der Westmoreland und der Venango Street an die Türen klingelte und um Süßigkeiten bat. Sie liefen von Tür zu Tür, und Beckman begleitete den Jungen jeweils bis zur Veranda der Häuser. Einige Leute aus der Nachbarschaft gaben später zu Protokoll, dass Beckman sich immer in der Nähe der Tür aufgehalten und mit großem Interesse in die Häuser geschielt habe, als der Junge seine Süßigkeiten bekam.
Innerhalb der nächsten fünf Monate gab es sechs Einbrüche in dieser Gegend, die alle tagsüber verübt wurden, wenn die Bewohner arbeiteten. Jedes Mal wurden dieselben Dinge gestohlen: Kameras, Schmuck, Bargeld, MP3-Player. Nichts, was zu groß war, um es in einen Kopfkissenbezug zu stecken.
Nachdem zwei clevere Detectives der zuständigen Polizeiwache das System durchschaut hatten, fertigten sie eine Fotoserie der Personen an, die im Umkreis von einer Meile um die betreffenden Häuser herum wohnten und bereits wegen Einbruchs vorbestraft waren. Eine dieser Personen war Kenneth Beckman.
Nachdem Beckman von Zeugen als der Mann identifiziert worden war, der einen Jungen an Halloween zu den Häusern begleitet hatte, stellten die Detectives ihn unter Beobachtung. Ein paar Tage später folgten sie ihm zu einem Pfandhaus in Chinatown, das bekannt dafür war, mit Diebesgut zu handeln. Innerhalb von zwei Tagen stellten sie eine verdeckte Ermittlung auf die Beine. Ein Detective gab sich als Mitarbeiter des Pfandhauses aus, doch Beckman, der die Falle vielleicht roch, kehrte nie mehr dorthin zurück.
Mitte März 2002 erhielten sie einen Anruf von einer jungen Frau, mit der sie schon einmal gesprochen hatten. Sie hieß Antoinette Chan
Weitere Kostenlose Bücher