Echo des Blutes: Thriller (German Edition)
Geld.«
Lucy wunderte sich sehr darüber. »Gut, Mr. Costa, dafür bin ich wirklich überaus dankbar. Aber ich mag keine Überraschungen. Das war schon immer so. Es würde mir gar nicht gefallen, wenn ich nach den Sitzungen bei Ihnen feststelle, dass ich Ihnen Tausende von Dollar schulde. Das wäre uns beiden gegenüber nicht fair. Ich könnte Sie nicht bezahlen, und dann wären Sie furchtbar sauer.«
Mr. Costa ließ sich einen Augenblick Zeit mit der Antwort. »Erstens werde ich niemals wütend, denn ich habe festgestellt, dass es nichts bringt. Du etwa?«
Tatsächlich hatte auch Lucy festgestellt, dass das nichts brachte. Dieses Wissen hatte sie aber nie davon abgehalten, wütend zu werden. »Nein. Ich glaube nicht.«
»Zweitens, wenn wir unsere dritte und letzte Sitzung beendet haben und du der Meinung bist, dass du mit meinen Diensten zufrieden warst und wirklich davon profitiert hast, gibst du mir, was du für richtig hältst.« Er wies mit dem Arm auf den Raum. »Wie du siehst, lebe ich sehr bescheiden.«
Erst jetzt betrachtete Lucy die Wände. Ihr Blick fiel auf die Spinnweben unter der Decke, die dünne Schicht Staub überall und die Risse im Putz. Das Bedürfnis, hier sauber zu machen, war fast übermächtig. Dann schaute sie sich die Fotos an den Wänden an, die anscheinend planlos aufgehängt worden waren. Dutzende von Fotos, viele in abgesplitterten Lackrahmen, einige hintereinandergesteckt hinter gesprungenem Glas, auf dem Spinnweben klebten. Es schienen alles Schnappschüsse ähnlicher Motive zu sein, die Reisefotos ähnelten – Pavillons, Festzelte, Lebkuchenstände, Marktplätze vermutlich kleiner Städte, die von Händlern an bunt bemalten Ständen und öffentlichen Bänken mit Werbung für örtliche Unternehmen gesäumt waren. Auf einem Bild sah Lucy einen Konzertpavillon in der Form eines großen Kürbisses. Auf einem anderen schien eine Szene aus dem Amerikanischen Bürgerkrieg nachgestellt worden zu sein. Auf vielen Bildern war der jüngere Mr. Costa mit einer Geige abgebildet.
»Sind Sie da überall gewesen?«, fragte Lucy.
»Ja.«
Mr. Costa ging auf die hintere Wand zu, die dem Fenster gegenüberlag. Dort hing ein Samtvorhang, der beinahe die gesamte Breite des Raumes einnahm. Er griff hinter die rechte Seite des Vorhangs und zog vorsichtig an einer ausgefransten goldenen Schnur.
Hinter dem Vorhang befand sich eine circa zwei Meter breite und ebenso hohe Kabine. Sie hatte wie die kleinen Kirmesbuden oder die Kassenhäuschen vor dem Zirkus kein Fenster. In die Vorderseite war nicht gerade fachmännisch eine Tür mit einem Türknauf aus rotem Glas eingesetzt worden. Auf die geschnitzte Volute über der Tür war ein dunkler purpurroter Himmel mit Quellwolken gemalt. Hinter einer der Wolken lugte ein silberner Herbstmond hervor, der schwach glitzerte. Links und rechts neben der Tür stand das Wort Traumweber . Quer über die Tür zog sich über einer ebenfalls aufgemalten schwarzen Öffnung noch ein Schriftzug in Gold, diesmal:
Was träumst du?
»Das ist echt cool«, sagte Lucy. Sie hatte recht. Lucy Doucette war ein Kind der Kleinstadt und in furchtbarer Armut aufgewachsen. Wenn ihre Mutter nüchtern genug war, um das Haus zu verlassen, und oft, wenn sie schon einiges an Alkohol intus hatte, besuchte sie mit Lucy Jahrmärkte, Stadtfeste, Karnevalsumzüge, Paraden, Festivals und manchmal sogar einen Leichenschmaus, wenn er im Park stattfand. Allerdings besuchten sie nur Feste, bei denen kein Eintrittsgeld verlangt wurde. Bei diesen Veranstaltungen ging es oft feuchtfröhlich und laut zu. Dann setzte ihre Mutter Lucy auf einer Bank ab und sah regelmäßig nach ihr. Jedes Mal, wenn sie wiederkam, war sie etwas betrunkener oder bekiffter und brachte oft schon kalte und angeknabberte Würstchen im Schlafrock, Schweinsohren oder Strauben mit. Erst Jahre später begriff Lucy, dass es sich bei diesen Leckereien wohl um Reste gehandelt haben musste, die jemand weggeworfen hatte. Dennoch führte dieses Wissen selbst im Rückblick nicht dazu, dass es schlechter schmeckte. Wenn man vier Jahre alt ist, ist Zuckerwatte – auch die von jemand anderem – das Beste, was es auf der Welt gibt. Mr. Costa schloss den Vorhang, durchquerte den Raum und setzte sich gegenüber von Lucy hin. »Wollen wir anfangen?«
»Klar«, sagte Lucy. Sie holte tief Luft und versuchte, ihre Schultern zu entspannen, was ihr nicht ganz gelang. Seit ihrer Kindheit spürte sie immer eine gewisse Anspannung. An manchen Tagen
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