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Echo Einer Winternacht

Titel: Echo Einer Winternacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Val McDermid
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die Lieder noch nicht und würde deshalb heute Abend nicht für den Herrn in die Saiten greifen.
    »Wir stellen die Musik auf der North Street auf. Da kommen jede Menge Leute vorbei. Ihr andern macht die Runde zu den Pubs. Ihr braucht nicht reinzugehen. Fangt die Leute einfach ab, wenn sie reingehen oder rauskommen. Nun noch ein kurzes Gebet, bevor wir uns für Jesus an die Arbeit machen.« Sie fassten sich an den Händen und senkten die Köpfe. Als er sich dem Erlöser anvertraute, fühlte Weird, wie ihn der seit kurzem so vertraute Friede erfüllte.
    Es war erstaunlich, wie verändert alles war, dachte er später, als er von einem Pub zum nächsten schlenderte. Früher hätte er niemals auch nur daran gedacht, Fremde anzusprechen, außer um sie nach dem Weg zu fragen. Aber er tat es tatsächlich gern.
    Die meisten Leute wiesen ihn ab, aber ein paar hatten seine Blättchen genommen, und er war zuversichtlich, dass er einige von ihnen wiedersehen würde. Er war überzeugt, dass die Ruhe und stille Freude, die von ihm ausgingen, sie beeindrucken mussten.
    Es war fast zehn Uhr, als er durch den steinernen Bogen des Westtors auf die Lammas Bar zuging. Jetzt fand er es schockierend, wie viel Zeit er im Laufe der Jahre dort verschwendet hatte. Er schämte sich seiner Vergangenheit nicht.
    Lloyd hatte ihm beigebracht, dass man das nicht so betrachten dürfe. Seine Vergangenheit diene zum Vergleichsmaßstab und zeige, wie wunderbar sein neues Leben sei. Aber er bedauerte, dass er seinen Frieden und sein Heil nicht früher gefunden hatte.
    Er überquerte die Straße und stellte sich neben die Tür des Lammas. In den ersten zehn Minuten gab er nur einen einzigen Handzettel an einen der Stammgäste aus, der ihn neugierig anstarrte, als er hineinging. Sekunden später wurde die Tür heftig aufgestoßen, und Brian und Colin Duff polterten auf die Straße, gefolgt von zwei anderen jungen Männern. Alle mit roten Gesichtern und angetrunken.
    »Was machst’n du hier, verdammt noch mal?«, grölte Brian, packte Weird vorn am Parka und stieß ihn grob gegen die Wand.
    »Ich wollte nur …«
    »Halt’s Maul, du Scheißkerl«, schrie Colin. »Wir haben heute unsere Schwester beerdigt, das haben wir dir und deinen dreckigen Freunden zu verdanken. Und du wagst es, dich hierhin zu stellen und über Jesus zu predigen?«
    »Du nennst dich einen verdammten Christen? Du hast meine Schwester umgebracht, du Schwein.« Brian stieß dabei Weirds Kopf mehrmals gegen die Wand. Weird versuchte, sich aus seinen Händen zu befreien, aber der andere Mann war viel stärker.
    »Ich hab sie nicht angerührt«, schrie Weird. »Wir waren es nicht.«
     
    »Na, wer war’s denn sonst, verdammt noch mal? Ihr wart doch die Einzigen vor Ort«, brüllte Brian wütend. Er ließ Weirds Parka los und hob die Faust. »Lass mal sehen, wie dir das gefällt, du Mistkerl.« Er landete einen rechten Haken auf Weirds Kinn und ließ einen linken auf sein Gesicht folgen. Weirds Knie gaben nach. Er hatte das Gefühl, die untere Hälfte seines Gesichts würde einfach abfallen und in seinen Händen liegen bleiben.
    Aber das war nur der Anfang. Plötzlich flogen Füße und Fäuste und donnerten grausam auf ihn ein. Blut, Tränen und Schleim liefen ihm übers Gesicht. Die Zeit verging langsam wie in Zeitlupe, die Worte kamen verzerrt bei ihm an und machten jeden schmerzlichen Schlag noch schlimmer. Als Erwachsener war er nie in eine Schlägerei verwickelt gewesen, und diese nackte Brutalität erschreckte ihn. »Mein Gott, mein Gott«, schluchzte er.
    »Jetzt wird er dir nicht helfen, du großes Stück Scheiße«, rief jemand.
    Dann war es Gott sei Dank zu Ende. Als plötzlich keine Schläge mehr kamen, wurde es still. »Was ist hier los?«, hörte er die Stimme einer Frau sagen. Er hob den Kopf aus der zusammengekauerten Stellung, die er eingenommen hatte. Eine Polizistin stand neben ihm. Hinter ihr sah er den Polizisten, den Alex damals im Schneetreiben zu Hilfe geholt hatte. Die Angreifer standen verdrossen mit den Händen in den Taschen herum.
    »Nur’n bisschen Spaß«, sagte Brian Duff.
    »Scheint mir nicht sehr spaßig auszusehen, Brian. Er hatte Glück, dass der Wirt so vernünftig war, uns anzurufen«, sagte die Frau und beugte sich hinunter, um sich Weirds Gesicht anzusehen. Er setzte sich mühsam auf und hustete Schleim und Blut hoch. »Sie sind Tom Mackie, nicht wahr?«, sagte sie und begann zu begreifen.
     
    »Ja«, krächzte er.
    »Ich rufe einen Krankenwagen«,

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