Echo gluecklicher Tage - Roman
war barfuß und trug nur ihr Nachthemd und nichts darunter. Selbst in einer so verzweifelten Situation konnte sie den Gedanken nicht ertragen, dass jemand ihren Intimbereich sah.
»Wickel dir das Seil ums Handgelenk, und halt dich fest«, befahl ihr Sam. »Benutze deine Füße, um an der Wand nach unten zu kommen. Wir seilen dich ganz langsam ab und lassen dich nicht fallen.«
Nichts in Beths Leben war je so furchteinflößend gewesen. Sie hatte Angst, herunterzufallen und sich das Genick zu brechen, und war sich nur zu bewusst, dass der Wind unter ihr Nachthemd fuhr und dass Ernest direkt unter ihr stand. Aber sie musste sich beeilen, weil Sam und Peter auch noch hinuntermussten.
»Gutes Mädchen, nur noch ein kleines Stück, und du kannst springen«, rief Ernest. »Die Matratze ist direkt unter dir, und ich bin hier und fange dich auf.«
Sie blieb kurz am Schild über dem Schaufenster hängen, aber es gelang ihr, sich wieder zu befreien, und dann forderte Ernest sie auf zu springen.
Die Leute liefen jetzt aus ihren Häusern, um zu sehen, was dieser ganze Lärm zu bedeuten hatte, und die Geräusche gaben ihr etwas Sicherheit. Sie ließ das Laken los und landete mit den Füßen zuerst auf der Matratze.
Sie riss Molly aus Ernests Armen, und als sie in das Schaufenster blickte, sah sie zu ihrem erneuten Entsetzen, dass die Flammen bereits überall an der hinteren Tür leckten, die zu ihrer Wohnung führte. Rauch quoll über ihnen nach oben, und immer mehr Leute kamen auf der Straße zusammen. Sie hoffte, dass die Feuerwehr rechtzeitig eintreffen würde, bevor die ganze Ladenzeile abbrannte.
»Ich habe eine Leiter!«, rief eine männliche Stimme. »Die kann ich in zwei Minuten herholen.«
Sam half derweil Peter aus dem Fenster. »Wie soll Sam denn rauskommen?«, wollte Beth von Ernest wissen. »Da oben gibt es nichts, an dem er das Laken festbinden kann.«
»Die Leiter ist dann vielleicht schon hier«, entgegnete Ernest. »Komm schon, Pete«, rief er. »Pass auf, wenn du zu dem Ladenschild kommst.«
Peter sprang die letzten drei Meter und wandte sich an Ernest. »Das Feuer ist schon an der Tür da oben«, sagte er. »Wie soll Sam rauskommen?«
Beth konnte sehen, wie die Flammen sich über den Boden im Laden ausbreiteten. Bald würde die Hausfront brennen, und dann saß ihr Bruder in der Falle.
»Sam!«, schrie Beth. »Zieh das Bett ans Fenster. Das Kopfteil passt nicht durch, also kannst du das Laken daran festbinden.«
Ihr war ganz schlecht vor Angst, und sie wünschte, sie könnte sehen, ob Sam tat, was sie ihm gesagt hatte – es würde ihm ähnlich sehen, wenn er erst noch ein paar Wertgegenstände einsammelte, bevor er ging. Jetzt herrschte auf der Straße völliges Chaos, einige Leute riefen, dass man eine Kette mit Wassereimern bilden solle, andere fürchteten um ihre Häuser, barfüßige Kinder in Nachthemden weinten, weil sie ihre Eltern nicht sehen konnten. Ein paar Leute bliesen in Pfeifen, und noch mehr klopften an andere Türen, um die Bewohner herauszuholen.
Aber gerade als Beth schon glaubte, Sam wäre verloren, kam das Laken aus dem Fenster, und er stand auf dem Fensterbrett. Sein Oberkörper war nackt, und das Licht der Laterne beschien sein blondes Haar. Er hielt ihre Geige in der Hand.
»Fang«, schrie er und warf sie nach unten in Peters Hände. Gerade als die Flammen hinter dem Ladenfenster die Scheibe zersplittern ließen, seilte Sam sich an dem Laken nach unten ab.
Beth rannte zu ihm und umarmte ihn. »Wieso hast du ausgerechnet meine Geige gerettet?«, fragte sie.
»Irgendetwas sagte mir, dass ich das tun muss.« Er zuckte mit den Schultern. »Ich weiß doch, wie viel sie dir bedeutet.«
Es dauerte noch fünfzehn Minuten, bis der erste Feuerwehrwagen eintraf, die Feuerwehrleute heraussprangen und den Schlauch an dem Wassertank befestigten, aber da brannte bereits die gesamte Front des Hauses. Die Pferde wurden abgeschirrt und etwas weiter die Straße hinuntergeführt, weg von der schlimmen Hitze, und Beth und die Männer drängten sich auf der anderen Straßenseite zusammen und beobachteten entsetzt das Geschehen.
Erst da wurde Beth klar, dass sie alles verloren hatten. Ihr Zuhause, ihre Sachen, ihr Geld. Alles war weg.
Sie waren verarmt und obdachlos.
Ihre Vermieter und Mr Filbert, der Mieter des Ladens, hatten bestimmt eine Versicherung, aber sie nicht. Sam hatte nicht mal mehr einen Anzug, um am Morgen zur Arbeit zu gehen. Und was Molly anging, sie hatte nur ein Nachthemd,
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