Echo Park
fuhr in nördlicher Richtung auf den verstopften Freeway 101 und drängte sich in den dichten Verkehrsstrom. Bosch zwängte sich sechs Fahrzeuge hinter dem Jeep in die Schlange. Er hatte insofern Glück, als auf der Antenne von Pratts Jeep eine weiße Kugel mit einem Gesicht steckte. Ein Werbegeschenk einer Fastfood-Kette. Es ermöglichte Bosch, dem Jeep zu folgen, ohne ihm zu nahe zu kommen. Sein Crown Vic war zwar nicht als Einsatzfahrzeug gekennzeichnet, roch aber trotzdem nach Polizei.
Langsam, aber zielstrebig kämpfte sich Pratt in Richtung Norden voran. Bosch folgte ihm in gebührendem Abstand. Als sie auf dem Freeway durch Echo Park kamen, schaute er den Hügel hinauf und sah, dass die Spurensicherungs- und Mediensoiree in der Figueroa Lane immer noch in vollem Gang war. Über dem Haus kreisten zwei Fernsehhubschrauber. Er fragte sich, ob sein Auto abgeschleppt würde, oder ob er es später einfach dort abholen könnte.
Beim Fahren versuchte Bosch zusammenzufügen, was er gegen Pratt vorliegen hatte. Dass Pratt ihm gefolgt war, stand außer Frage. Sein Jeep glich aufs Haar dem, den er am Abend zuvor nicht weit von seinem Haus gesehen hatte, und Jason Edgar hatte Pratt als den Mann identifiziert, der ihnen in das Gebäude der Stadtwerke gefolgt war. Kaum anzunehmen, dass er Bosch nur verfolgt hatte, um sich zu vergewissern, dass er nicht gegen die Auflagen verstieß. Dafür musste es einen anderen Grund geben, und Bosch fiel nur einer ein.
Der Fall.
Sobald er einmal zu diesem Schluss gelangt war, fügte sich rasch eins zum anderen, und das schürte das Feuer noch, das bereits in Boschs Brust brannte. Es war nur ein paar Tage her, dass Pratt die Geschichte über Maury Swann erzählt hatte, die verriet, dass die beiden sich kannten. Und obwohl die Anekdote den Anwalt in ein schlechtes Licht rückte, konnte es auch der Versuch sein, sich scheinbar von jemandem zu distanzieren, dem er in Wirklichkeit nahestand, oder mit dem er sogar unter einer Decke steckte.
Ebenso wenig zweifelte Bosch daran, dass Pratt genau wusste, dass er, Bosch, im Gesto-Fall Anthony Garland im Visier gehabt hatte. Schließlich hatte er Pratt bei der Wiederaufnahme des Falls routinemäßig über all seine Schritte in Kenntnis gesetzt. So war Pratt unter anderem auch darüber informiert worden, dass Garlands Anwälte eine Verfügung erwirkt hatten, die es Bosch untersagte, in ihrer Abwesenheit mit Garland zu sprechen.
Und was vielleicht das Wichtigste war – Pratt hatte Zugang zum Gesto-Mordbuch gehabt. Es hatte die meiste Zeit auf Boschs Schreibtisch gelegen. Pratt hätte jederzeit die gefälschte Verbindung zu Robert Saxon, alias Raynard Waits, einfügen können, lange bevor das Buch Olivas ausg ehändigt wurde. Er hätte den Eintrag ohne Weiteres fälschen können, damit Olivas ihn entdeckte.
Bosch wu rde klar, dass der Plan, Raynard Waits den Mord an Marie Gesto gestehen zu lassen und die Ermittler zu ihrer Leiche führen, durchaus von Abel Pratt ausgeheckt und in die Tat umgesetzt worden sein könnte. Er war ideal positioniert, um als Mittelsmann zu agieren und sowohl Bosch als auch die anderen Beteiligten auf Schritt und Tritt beobachten zu können.
Und ihm wurde bewusst, dass Pratt, wenn Swann an dem Komplott beteiligt war, weder Olivas noch O’Sheas Hilfe benötigt hätte. Je mehr Personen in ein Komplott verwickelt waren, umso höher die Wahrscheinlichkeit, dass es aufflog oder scheiterte. Swann hätte Waits gegenüber lediglich den Anschein erwecken müssen, als wären Ankläger und Ermittler die Drahtzieher im Hintergrund, und schon hätte er eine falsche Fährte gelegt, der jemand wie Bosch unvermeidlich folgen würde.
Bosch spürte das Brennen heftiger Schuldgefühle in seinem Nacken. Vielleicht hatte er sich in allem, was er bis vor einer halben Stunde gedacht hatte, getäuscht. Gründlich getäuscht. Olivas war vielleicht gar nicht korrupt gewesen. Möglicherweise war er genauso raffiniert benutzt worden wie Bosch, und O’Shea hatte sich lediglich politischer Taktiererei schuldig gemacht, sprich, er hatte unrechtmäßig Verdienste für sich in Anspruch genommen, die ihm nicht zustanden, und gleichzeitig die Verantwortung für seine Fehler auf andere abgewälzt. O’Shea hatte womöglich nur deshalb versucht, nichts von Boschs Anschuldigungen nach draußen dringen zu lassen, weil sie sich politisch nachteilig ausgewirkt hätten – und nicht, weil sie der Wahrheit entsprachen.
Bosch überprüfte diese neue Theorie
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