Echo Park
ergattern, und viel mehr gab es zu der Frage, was ihn dieser Tage beschäftigte, eigentlich nicht zu sagen.
Nachdem sich Pratt ihren Bericht angehört hatte, erteilte er ihnen seine Genehmigung für die Zusammenarbeit mit O’Shea. Etwas Leben kam erst in ihn, als er sie vor Raynard Waits’ Anwalt Maury Swann warnte.
»Nur so viel zu Maury«, sagte er. »Egal, was Sie tun, aber schütteln Sie dem Kerl auf keinen Fall die Hand.«
»Warum nicht?«, wollte Rider wissen.
»Ich hatte mal bei einem Gerichtsverfahren mit ihm zu tun. Ist schon eine Weile her. Irgendjemand war von einer Straßengang ermordet worden. Jeden Tag bei Verhandlungseröffnung kam Maury an und schüttelte erst mir die Hand und dann dem Ankläger. Wahrscheinlich hätte er auch dem Richter die Hand geschüttelt, wenn er Gelegenheit dazu erhalten hätte.«
»Und?«
»Sein Mandant kam nach der Verurteilung zu mir und versuchte die Strafe herunterzuhandeln. Er bot uns an, die anderen Beteiligten an dem Mord zu verpfeifen. Bei der Gelegenheit sagte er mir unter anderem, er hielte mich für korrupt. Maury hätte ihm während des Prozesses gesagt, er könnte uns alle kaufen. Mich, den Ankläger, jeden. Also hatte dieser Typ sein Mädchen losgeschickt, etwas Geld aufzutreiben, und Maury machte ihm weis, dass er uns jedes Mal, wenn er uns die Hände schüttelte, ein paar Scheinchen zusteckte. Sie wissen schon, ein goldener Handschlag eben. Oft schüttelte einem Swann deshalb auch mit zwei Händen die Hand. Jedenfalls hat er diesem Typ das weisgemacht, in Wirklichkeit aber das Geld selbst eingesteckt.«
»Im Ernst?«, entfuhr es Rider. »Haben Sie denn nichts gegen ihn unternommen?«
Pratt tat den Gedanken mit einer wegwerfenden Handbewegung ab.
»Es war bereits passiert, und außerdem hätte am Ende Aussage gegen Aussage gestanden. Es wäre vermutlich nichts dabei herausgekommen – nicht bei einem so angesehenen Mitglied der Anwaltskammer wie Maury Swann. Aber ich habe auch später immer wieder gehört, dass Maury Swann gerne Hände schüttelt. Deshalb – geben Sie ihm auf keinen Fall die Hand, wenn Sie zu ihm und Waits ins Zimmer kommen.«
Bosch und Rider mussten beide über diese Geschichte grinsen, als sie Pratts Büro verließen und an ihren Arbeitsplatz zurückkehrten. Die Frage der Arbeitsteilung hatten sie bereits auf dem Rückweg vom Gericht geklärt. Bosch würde Waits übernehmen, und Rider den Fall Fitzpatrick. Wenn sie Waits am nächsten Tag im Vernehmungszimmer gegenübersäßen, würden sie die Akten in- und auswendig kennen.
Weil Rider im Fall Fitzpatrick weniger zu lesen hatte, würde sie außerdem die Matarese-Akte fertigstellen. Bosch konnte sich also voll und ganz dem Studium der Welt des Raynard Waits widmen. Nachdem er Rider die Fitzpatrick-Akte herausgesucht hatte, ging er mit dem Faltordner, den er von O’Shea bekommen hatte, in die Cafeteria hinunter. Dort wäre es jetzt nach Ende der Mittagspause leer genug, um seine Unterlagen ausbreiten und ungestört vom unablässigen Telefonläuten und Stimmengewirr des Bereitschaftsraums arbeiten zu können. Nachdem er mit einer Serviette einen Ecktisch sauber gewischt hatte, begann er rasch mit der Sichtung des Materials.
Es gab drei Akten über Waits: das LAPD-Mordbuch – zusammengestellt von Olivas und seinem Partner im Morddezernat der Northeast Division, Ted Colbert –, außerdem eine Akte von einer früheren Festnahme und die von O’Shea zusammengestellten Anklageunterlagen.
Bosch beschloss, zuerst das Mordbuch zu lesen. Er machte sich rasch mit Raynard Waits und den Einzelheiten seiner Festnahme vertraut. Der Verdächtige war 34 Jahre alt und wohnte in einer Wohnung im Erdgeschosseines Hauses in der Sweetzer Avenue in West Hollywood. Mit seinen 165 cm Größe und 64 Kilo Gewicht war er alles andere als stattlich. Er war Inhaber eines Ein-Mann-Betriebs, einer Fensterreinigungsfirma, die sich ClearView Residential Glass Cleaners nannte. Laut polizeilichem Ermittlungsbericht war er in der Nacht des 11. Mai um 1.50 Uhr zwei Streifenpolizisten aufgefallen, die ein Viertel in Echo Park überwachten, weil es dort in den vorangegangenen Wochen an den Abenden der Dodgers-Heimspiele in verstärktem Umfang zu Einbrüchen gekommen war. Der Polizeianwärter Arnolfo Gonzalez und sein Ausbildungsofficer Ted Fennel, die ein sogenanntes Crime Response Team bildeten, waren zwar in Uniform, saßen aber in einem Zivilfahrzeug unweit der Kreuzung von Stadium Way und Chavez Ravine Place.
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