Echt easy, Frau Freitag!: Das Allerneueste aus dem Schulalltag
steht auf, sagt, wer er ist, dass ich die beste Lehrerin sei, und erzählt kurz, was er nach der Schule gemacht hat. Die Schüler fragen, wie alt er ist, und einige erinnern sich an ihn, weil er schon mal in der Schule aufgetreten ist. Sie wollen, dass er rappt. Er guckt mich fragend an. Ich wollte einen Vokabeltest schreiben lassen, aber warum soll er nicht rappen? »Aber Emre, jugendfreie Texte, okay?«
Er grinst und denkt nach: »Also ohne Ausdrücke …« Halil springt auf. Halil ist so süß und so klein, dass du ihn eigentlich den ganzen Tag knuddeln willst. Er sieht aus wie erste Klasse. Jetzt reißt er die Arme hoch und ruft: »Frau Freitag, wir sind nicht mehr GRUNDSCHULE! Bitte, lassen Sie mit Ausdrücke!« – »Jaaa, bitte mit Ausdrücke!«
Plötzlich schreien sie alle: »Frau Freitag, Frau Freitag, Frau Freitag.« Damit die Leute draußen nicht denken, ich sei dabei, aufs Pult zu steigen und zu strippen, sage ich schnell: »Okay, whatever .«
Emre grinst, sucht seine Beats im Handy und legt los. Ein Liebeslied. Total Ausdrücke-frei. Die Schüler hören genau zu. Sie beobachten jede seiner Bewegungen. Emre hat an seiner Performance gearbeitet. Seine Gestik und Mimik sitzen. Nach dem Song gibt es tosenden Beifall, eine Zugabe und viele Fragen. Emre antwortet und fragt mich dann, ob er die Geschichte von seinen gebrochenen Beinen erzählen soll. Ich nicke, denn die hat eine schöne Moral: Verlasse in der Mittagspause nicht das Schulgelände. Vor allem nicht über den Zaun.
Hannah meldet sich: »Hast du geweint?« – »Ich hab geweint, als sie im Krankenhaus meine Lieblingshose aufgeschnitten haben.« – »Was war das für eine Hose?«, fragt Halil interessiert. Emre kann sich nicht erinnern.
Dann ist es Zeit für den Vokabeltest. »Emre, willst du mitschreiben?« – »Äh, Englisch, na ja, da müsste ich mir erst mal die Vokabeln angucken.«
Ich zeige sie ihm. »Oh, lieber nicht, ich sehe schon, dass ich davon viele nicht kenne.«
»Na, ist ja auch schon lange her.«
Wir verabschieden uns mit Küssen auf die Wange. Er verspricht, bald mal wiederzukommen. Dann geht er raus in sein Leben, und wir widmen uns dem Vokabeltest.
Abends gucke ich mir die YouTube-Videos von Emre an. Während ich noch mal das Liebeslied höre, lese ich mir die Kommentare durch. Und plötzlich sehe ich einen Eintrag von Hannah: »Übertrieben schöner Song. Er war heut in mein Englischunterricht und hat gerappt. Ich schwöre!«
Hamids Auflagen
»Der kriegt ein Muttiheft! Und seine Mutter soll ihm gleich das Handy abnehmen und es ihm erst abends wiedergeben. Und auch nur, wenn alle Lehrer etwas Gutes in das Heft geschrieben haben«, informiere ich die Erzieherin kurz vor dem Elterngespräch.
Es geht Hamid an den Kragen. Der wird gegrillt. Nachdem sich Anil in meiner Klasse durch unglaublich bescheuertes Rumnerven ins Abseits gespielt hat und von seinen Mitschülern mehr oder weniger ignoriert wird, meinte Hamid, das Machtvakuum mit seiner Wenigkeit füllen zu können. Deswegen gibt es jetzt ein Elterngespräch mit dem Delinquenten. Hamid spielt sich seit Wochen wie der Chef der Klasse auf. Wenn alle still sind, quakt er immer noch mal los. Wenn ich was sage, dann hat er grundsätzlich eine sehr wichtige Nachfrage. Wenn es mir irgendwann zu bunt wird und ich ihn auffordere, ruhig zu sein, dann kommt von ihm immer noch ein Einwurf. So geht das ewig weiter. Echt unerträglich. Ich möchte gar nicht wissen, wie er sich bei den Fachlehrern aufführt, denn bei mir verhält er sich vermutlich noch einigermaßen gut. Am Wochenende hab ich die Kunstbilder meiner Klasse zensiert und gesehen, dass hinten auf Hamids Bild draufstand: THE BOSS! Hab ich sofort durchgestrichen und druntergeschrieben: I’m the boss!
Ich sitze im Lehrerzimmer mit der Erzieherin und warte auf Mama Hamid. Wir kennen sie vom Elternabend, sie ist eine imposante Frau. Groß und breit – wie Hamid. Die arme Frau hat drei Jungs und zwei Mädchen. Hamid ist der Jüngste. Hamids Mama geht jeden Tag arbeiten. Sie steht sehr früh auf. Man würde erwarten, dass die vielen Kinder ihr dann nachmittags und abends zu Hause helfen, aber Hamid wirkt so, als hätte er noch nie einen Finger im Haushalt gekrümmt. Na ja, ich habe gut reden, ich mache selber auch nicht gerade viel.
Fatma, aus meiner alten Klasse, sagte mal: »Natürlich helfen wir alle zu Hause. Wir machen den ganzen Haushalt. Wozu hat meine Mutter denn sonst so viele Kinder bekommen?« Fatma hat
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