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Echt? In der DDR gab's mehrere Parteien? - Ein Ossi und ein Wessi beginnen einen Dialog (German Edition)

Echt? In der DDR gab's mehrere Parteien? - Ein Ossi und ein Wessi beginnen einen Dialog (German Edition)

Titel: Echt? In der DDR gab's mehrere Parteien? - Ein Ossi und ein Wessi beginnen einen Dialog (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniel Morawek , Christian Döring
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auskommen, sie mussten auch glaubhaft wirken und dabei versuchen, nicht an staatlichen Stellen zu sehr anzuecken. Man wusste nie vorher genau, was in den Augen der staatlichen Behörden vor Ort eine politische Provokation war und worüber die staatlichen Stellen großzügigerweise hinwegblickten.
     
    Daniel: Wie konnten sie denn glaubhaft gegenüber der Gemeinde wirken und gleichzeitig nicht mit dem Staat anecken? Ich stelle mir das ja so vor, dass die sozialistische Staatslehre der DDR nicht gerade konform ging mit den christlichen Lehren.

    Christian: Da hast du wohl recht. Aber wenn ein Pastor treu und brav in seiner Bibel gelesen hat und sonntags unpolitisch gepredigt hat, dann musste er keine Angst im real existierenden Sozialismus haben. Eine Gefahr erkannte die DDR erst in einem Pastor, wenn er seine engen Grenzen verließ.
    Ich habe damals in den 70er und 80er Jahren drei verschiedene Pastorenströmungen erlebt. Direkt vor Ort in meinem Heimatstädtchen gab es zwei Pfarrstellen. Beide waren mit jungen Leuten besetzt. Die eine Stelle hatte eine Pastorin inne, bei der ich selbst Konfirmandenunterricht hatte. Der war auch rückblickend gut. Die Pastorin hielt sehr gute Bibelabende, sie wurde jedoch nie politisch, nahm nie konkret Stellung zur aktuellen Tagespolitik in der DDR.
    Die zweite Pfarrstelle war besetzt von einem jungen Mann, der von vielen in der Gemeinde liebevoll „Der wilde Pastor" genannt wurde. Jung, schlank, mit Vollbart entsprach er sogleich den meisten Erwartungen des üblichen Jesusbildes. Er provozierte, wo er nur konnte. So baute er sich beispielsweise ein Liegefahrrad auf drei Rädern. Klar und vorhersehbar, dass er sofort mit den Genossen der VP Ärger bekam.
     
    Daniel: Also VP ist Volkspolizei, oder? Warum war es vorherzusehen, dass er mit seinem Fahrrad Ärger bekam? Willst du mir wirklich erzählen, dass es in der DDR rebellisch war, sich ein eigenes Fahrrad zu bauen? Ich staune nicht schlecht.
     
    Christian: Vielleicht ist heute der DDR-Alltag auch deshalb so schlecht zu vermitteln, weil vieles nicht generell im ganzen Land gelten musste. Aber für meine Kleinstadt war ein Pastor auf seinem selbstgebauten Fahrrad eine Provokation. Die DDR war im übrigen der Staat, in dem so gut wie alles genormt sein musste. Wäre der Fahrradfahrer auf dem selbstgebastelten Fahrrad ein unauffälliger Schüler gewesen, wäre sicher hinterher nichts passiert. Aber bei einem Pastor, von dem man wusste, der ist sowieso auf Widerspruch und Kritik aus, da war es ein gefundenes Fressen der VP, ihm eine Ordnungsstrafe aufzubrummen. Für den öffentlichen Straßenverkehr war dieses Fahrrad nun wirklich nicht zugelassen.
    Eine andere Situation: Irgendwann Anfang der 80er Jahre wurde die gesamte Bevölkerung meiner Heimatstadt auf den atomaren Angriff der westlichen Imperialisten vorbereitet. Das heißt, an einem Samstagvormittag mussten alle Schwaaner Einwohner ihre Fensterscheiben mit weißem Kalk anpinseln, weil dies das Eindringen der Strahlen verhindert. Danach lernten wir den Alarm kennen, der bei solchen Angriffen ertönen würde. Minutenlang hörten wir ohrenbetäubenden Lärm und kein einziger Einwohner durfte für zwei Stunden auf die Straße. Was tat „Der wilde Pastor"? Gerade zu der Zeit kam er seinem Bedürfnis eines Stadtrundgangs nach.
     
    Daniel: Okay, das klingt schon etwas rebellischer. Hast du eine Ahnung, ob er irgendeinen speziellen Hintergedanken damit verfolgte, irgendein Zeichen setzen wollte?

    Christian: Natürlich wollte Günther Kruse damit ein Zeichen setzen. Aber ich hätte es nicht getan, weil Aufwand und Nutzen für mich keinen Sinn ergaben. Heute sehe ich es gelassener und denke, gut dass auf des Herrgotts Wiese die vielfältigsten Blumen wachsen und blühen.
    Beide Pastorentypen lagen mir nicht so wirklich. Aber dann kam das Jahr 1983 und mit ihm ein Evangelischer Kirchentag in der Nachbarstadt Rostock. Sehr genau erinnere ich mich noch an das Motto „Vertrauen wagen". Auf diesem Kirchentag lernte ich Pastor Joachim Gauck kennen. Er provozierte mit nichts, aber er war auch nicht unpolitisch. Er entwarf in Bibelarbeiten und Predigten ein Menschenbild, welches aus persönlicher Verantwortung heraus für Freiheit zu sorgen hatte. Endlich hatte ich den Pastorentypen gefunden, den ich lange schon gesucht hatte. Später fuhr ich oftmals sonntags vormittags nach Rostock, nur um Predigten von Joachim Gauck zu hören.
    Oft hatte ich bei ihm den Eindruck, dass er in Vorbereitung

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