Echt? In der DDR gab's mehrere Parteien? - Ein Ossi und ein Wessi beginnen einen Dialog (German Edition)
sich in der Lehreinrichtung über mich erkundigt hatte. Von dort hatte er nur Lobesworte über mich gehört.
Dann ließ er die Katze aus dem Sack. Er erklärte mir, dass ich die ideale Besetzung für seine Nachfolge sei. Das hörte ich natürlich sehr gern. Ich dachte schon an das traumhafte Gehalt. Aber der Haken an der Sache kam prompt: „Lieber Kollege Döring, mit dem Genossen Direktor habe ich bereits alles vorbesprochen, er wäre mit einem Sicherheitsinspektor Döring auch einverstanden. Es gibt da nur noch die Sache mit Ihrer Parteizugehörigkeit." Aus der Traum. Ich sagte ihm, dass ich mir in den nächsten Tagen überlegen werde, in welche Partei ich gehen werde. Aber er ließ keine Zweifel aufkommen. „Herr Döring, für solch eine wichtige Funktion müssen sie natürlich in einer Partei organisiert sein, die in erster Linie die Interessen der AK wahrnimmt."
Damit stand ich dann vor einer Entscheidung. Ich könnte heute natürlich sagen, ich hätte sofort geantwortet: „Niemals gehe ich in die SED!" Aber so war es nicht. Ich erbat mir Bedenkzeit. Und ich grübelte wirklich tagelang. Ich wog die vielen Vor- und Nachteile ab. Viele Menschen, die in der DDR in ähnlicher Situation waren, flüchteten in solchen Fällen in eine der Blockparteien. Aber da hatte ich Pech. Der Genosse Direktor war in der SED, der Produktionsleiter war in der CDU und da gab es für mich keine Chance. Es kam nur die SED in Frage.
Daniel: Und welche Vorteile sind dir eingefallen?
Christian: Es gab sehr viele Vorteile. Stell dir die Zeit vor. Anfang der 80er Jahre hat niemand an eine Wiedervereinigung beider deutscher Staaten ernsthaft geglaubt. Als Sicherheitsinspektor wäre das der absolut sicherste Posten für mich gewesen. Bis zur Rente durch viel Geld verdienen, nicht viel arbeiten, gemütlich Kaffee trinken, also wenn das keine Vorteile sind. Außerdem hatte ich Zugang zu vielen Handwerkern, das wiederum hieße, ich hätte ich immer Mittel und Wege gehabt, an Farben, Beton und sonstiges Baumaterial zu kommen. Heute kann sich niemand mehr diese Situation vorstellen, damals war das so, wie an einer eigenen Goldmine zu sitzen.
16. Der VEB ermöglichte mir Rüstzeiten
Christian: Ich arbeitete im VEB, genoss die Vorzüge der sozialistischen Planwirtschaft, doch eine innere Leere bemächtigte sich meiner. Ich war ein junger Kerl und hatte mehr Geld als viele andere, die zudem mehr als ich arbeiten mussten. Hätte ich mich einfach ruhig verhalten können und im sozialistischen Strom der Duckmäuser mitschwimmen, hätte es gut bis zur Rente so weitergehen können. Niemand ahnte damals etwas von einer politischen Wende und hätte jemand davon erzählt, hätte ich ihn mitleidig angeschaut und Traumtänzer genannt.
Daniel: In welchem Jahr war das? Man hört ja immer wieder, dass viele Menschen vom plötzlichen Mauerfall überrascht wurden. Konnte man wirklich nichts ahnen?
Christian: Es waren die frühen 80er. Da konnte sich niemand etwas vom Mauerfall vorstellen. Das kam wirklich erst wenige Wochen vor dem Ereignis als eine hoffnungsvolle Möglichkeit in Betracht. Aber wirklich geglaubt habe ich es noch nicht einmal an dem Abend, als ich es im Fernsehen gehört habe. Erste Reaktion bei vielen Menschen damals war ja, wie lange wird die Mauer wohl offen bleiben würde? Das ganze Wochenende über? Dass es kein Zurück mehr gab, das lag einfach an den Menschenmassen, die in der historischen Nacht über die Mauer gesprungen sind.
Daniel: Im Westen waren die meisten wohl auch sehr überrascht. Wie ging es weiter mit dir?
Christian: Ich ging sonntags fleißig in die Kirche, jeden Donnerstag in den abendlichen Bibelkreis, schrieb meine Beiträge für die MKZ, aber irgendwie befriedigte mich dies alles nicht. Durch Zufall erfuhr ich, dass das Diakonische Werk der Mecklenburgische Landeskirche Roller-Latscher-Rüstzeiten organisierte. Noch dazu in Serrahn, dem wichtigen Ort meiner Kinderzeit, direkt am Krakower See gelegen.
Rollstuhlfahrer, die sich für einen Platz bei solch einer Rüstzeit bewarben, gab es jede Menge, viele Anfragen mussten abgesagt werden. Was in jedem Jahr fehlte, waren Latscher. Ihre Aufgabe war es, die schweren primitiven Rollstühle zu schieben und den Rollern bei allen Alltäglichkeiten des Lebensalltages zu helfen.
Mit Rollstuhlfahrern hatte ich bis zu meiner ersten Rüstzeit nie zuvor etwas zu tun, aber ich war offen für Neues. Ein Problem war, dass ich zehn Tage meines bescheidenen
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