Echt? In der DDR gab's mehrere Parteien? - Ein Ossi und ein Wessi beginnen einen Dialog (German Edition)
nicht mehr ging, erzählte ich meinen Dienstherren davon. Es war auch für kirchliche Stellen eine angespannte Situation und so waren auch die Reaktionen sehr unterschiedlich. Als ich beispielsweise meinem Stavenhägener Gemeindepastor von Selbstmordgedanken erzählte und ihm mitteilte, wenn ich wirklich mal spurlos verschwunden sei, sollte er mich im Pribbenower Wald suchen, antwortete er lediglich: „Dann geh in den Wald!"
Daniel: Er wollte dich nicht beseelsorgen und beruhigen?
Christian: Der Pastor und ich hatten schon vor dieser Zeit kein gutes Verhältnis zueinander. Aber ich war damals so fertig, dass ich ihn doch eines Tages ansprach und es nach seiner Antwort auch gleich wieder bereute. Dafür lernte ich andere Pastoren und einen Gemeindediakon kennen, mit denen ich im Gespräch war und die ich während dieser Zeit ständig ansprechen konnte. Wie in jedem Beruf gibt es auch unter Gottes Bodenpersonal schwarze Schafe, ärgerlich nur, dass dieser Typ dann später ausgerechnet Krankenhausseelsorger wurde.
Einen Pastor, der in der mecklenburgischen Landeskirche dafür bekannt war, dass er Totalverweigerer gut beriet, besuchte ich einmal. Wir unterhielten uns nett miteinander, und als ich zurück ins Katharinenstift kam, rief mich der Hausvater ins Büro. „Hallo Herr Döring, stellen Sie sich mal vor, eben hat der Pastor angerufen und mich über Sie ausgefragt, er wollte sicher gehen, dass Sie nicht von der Stasi sind." Damals war ich ziemlich enttäuscht, heute kann ich die Reaktion ein wenig verstehen.
Das Katharinenstift war eine Zweigeinrichtung des großen Rostocker Michaelshofes. Der Chef der Einrichtung, Pastor Udo Struck, war mir eine wirklich gute Hilfe. Er stellte die Kontakte zum Berliner Anwalt Vogel und zum Rostocker Anwalt Vormelker her. Diese gaben mir innere Stärke. In Rostock traf ich im Büro von Anwalt Vormelker Herrn Dr. Vogel. Wir verabredeten, solange es bei Verhören blieb, ist Anwalt Vormelker für mich zuständig. Wäre es zu meiner Inhaftierung gekommen, hätte sich Anwalt Vogel um mich gekümmert. Diese Zeit war für mich so schwer, dass ich nicht einmal auf die Idee gekommen wäre, nach den Kosten für den Anwalt zu fragen. Nie hat mir jemand eine Rechnung geschickt.
Daniel: Die Stasi verschaffte sich also einfach so Zugriff zur Privatwohnung und nahm Leute willkürlich für drei Tage mit. Aber die Möglichkeit, einen Anwalt einzuschalten, hattet ihr dann doch? Gab es da Aussichten auf Erfolg?
Christian: Mein Glück war damals, dass ich beruflich unter dem Dach der Diakonie wenigstens im Dienst keine Schikanen befürchten musste und mir die Kirche im Falle eines Prozesses einen guten Anwalt gestellt hätte. Vogel war damals bekannt dafür, dass er zügig verhandelt hat und die Ausreise in die BRD oft sehr schnell möglich wurde. Aber ich wollte niemals in die BRD ausreisen. Bis heute bin ich ein sturer Mecklenburger und habe nicht vor, meine Heimat zu verlassen.
24. November 1989
Christian: Der November 1989 war eine verrückte Zeit. Jeder Tag brachte Überraschungen. Einige Tage hatten wir sogar Angst, dass alles mit Waffengewalt wieder erstickt werden könnte. Ich glaube, so viele Leute wie in diesen Tagen haben niemals wieder die DDR-Nachrichten der Aktuellen Kamera und die Tagesschau gesehen.
Daniel: Bestimmt. Wir hatten das schon auch mitbekommen. Auch als Grundschüler. Irgendwann im Laufe des Jahres 1989 tauchte der erste Schüler aus dem Osten bei uns auf. Die Eltern hatten eine Ausreiseerlaubnis bekommen.
Christian: Zusammen mit meiner Frau stand ich am Abend des 9. November 1989 im Pfarrhaus in Graal Müritz. Mein Schwiegervater schaltete den Fernseher ein und wir hörten das unprofessionelle Gestotter des Genossen Schabowski. Das Wort Mauerspecht war geboren. Wir oben an der Küste hatten Tränen in den Augen und konnten nicht so recht glauben, was die Nachrichten in Ost und West uns verkündeten.
Daniel: Du willst uns sicherlich trotzdem erklären, was „Mauerspecht" in dem Zusammenhang bedeutet. Ich habe natürlich so meine Theorien, aber …
Christian: Mauerspechte, das sind die Leute, die noch in der ersten Nacht begonnen hatten, die Mauer in Einzelteile zu zerlegen. Einige wollten so einen Stein als Andenken mit nach Hause nehmen, andere machten ein Geschäft daraus und verkauften unzählige Steinklumpen als „echte" Mauersteine. Würde man heute alle diese Steine noch einmal zusammenfügen, könnte man die Mauer sicher
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