Echt zauberhaft
Ge-
schichte al e dreitausend Jahre neu beginnt.«
»Könnte sein.« Rincewind hielt nach einem weiteren Strohhalm Aus-
schau und hörte nur mit halbem Ohr hin. Schließlich begriff er die Be-
deutung der letzten Worte. »Dreitausend Jahre? Das ist ein bißchen kurz,
oder? Alleswiederholt sich? Sterne und Meere – und intelligentes Leben entwickelt sich aus Kunststudenten? So in der Art?«
»O nein. Das ist nur… Beiwerk. Die eigentliche Geschichte begann mit der Gründung des Reiches durch den ersten Kaiser Eins Sonnenspiegel
und seinen Diener, den Großen Zauberer. Es ist eine Legende. Die Bau-
ern glauben gern daran. Sie sehen sich die Große Mauer an und sagen:
Dieses wundervol e Ding kann nur mit Hilfe von Magie erbaut worden
sein… Und die Rote Armee… Wahrscheinlich war sie eine gut organi-
sierte Streitmacht aus erfahrenen Kämpfern. Die erste richtige Armee.
Vorher gab es nur den undisziplinierten Mob. So muß es gewesen sein.
Magie spielte dabei überhaupt keine Rol e. Der Große Zauberer kann
unmöglich… Ich meine, was die Bauern glauben, ist wirklich dumm…«
»Ach? Was glauben sie denn?«
»Angeblich hat der Große Zauberer die Erde lebendig gemacht. Als
sich Eins Sonnenspiegel al en Heeren des Kontinents gegenübersah, ließ
der Große Zauberer… einen Drachen fliegen.«
»Klingt vernünftig«, kommentierte Rincewind. »Wenn ein Krieg droht,
sol te man sich diesen Tag frei nehmen. Das ist mein Motto.«
»Du verstehst nicht. Es war ein ganz besonderer Drachen. Er fing die
Blitze des Himmels, und der Große Zauberer verstaute sie in Flaschen,
und er nahm den Schlamm und buk daraus mit Hilfe der Blitze neue
Krieger.«
»Hab nie von einer Zauberformel gehört, mit der man so etwas be-
werkstel igen kann.«
»Außerdem haben die Bauern seltsame Vorstel ungen von der Rein-
karnation…«
Kein Wunder, fand Rincewind. Vermutlich vertrieben sie sich mit sol-
chen Überlegungen während der langen Wasserbüffelstunden die Zeit:
He, wenn ich wiedergeboren werde, möchte ich jemand sein, der… die Leine eines Wasserbüf els hält und in eine andere Richtung schaut.
»Äh… nein«, sagte Zweiblum. »Sie glauben nicht daran, daß man zu-
rückkehrt. Äh… ich fürchte, ich benutze nicht die richtigen Worte. Bin in Hinsicht auf deine Sprache ein wenig eingerostet. Ich meine Präinkarnation. Das ist wie Reinkarnation, nur rückwärts. Die Bauern glauben, daß
man geboren wird, bevor man stirbt.«
»Tatsächlich?« Rincewind kratzte am Stein. »Erstaunlich! Sie glauben,
daß man geboren wird, bevor man stirbt? Ein Leben vor dem Tod? Oh,
die Leute sind sicher sehr aufgeregt, wenn sie davon hören.«
»Nein, ich meine… es hat mit den Vorfahren zu tun. Man sol te die
Vorfahren immer ehren, weil man eines Tages zu ihnen gehört, und…
Hörst du mir überhaupt zu?«
Das winzige Stück Mörtel fiel zu Boden. Nicht schlecht für zehn Minu-
ten Arbeit, dachte Rincewind. Viel eicht schaffen wir’s bis zur nächsten
Eiszeit, den Kerker zu verlassen.
Er erkannte, daß er an der Mauer arbeitete, hinter der Zweiblums
Quartier lag. Jahrtausendelang zu kratzen, nur um in eine andere Kerker-
zelle zu kommen… das war Zeitverschwendung.
Er wandte sich einer anderen Wand zu. Kratz… kratz…
Irgendwo erklang ein schrecklicher Schrei.
Kratzkratzkratz…
»Offenbar ist der Kaiser erwacht«, tönte Zweiblums Stimme aus dem
Loch in der Mauer.
»Und er hat gleich mit der Morgenfolter begonnen«, erwiderte Rince-
wind. Er nahm einen Steinsplitter und hämmerte damit gegen die Wand.
»Eigentlich ist es nicht seine Schuld. Es fällt ihm schwer zu verstehen,
was andere Menschen ausmacht.«
»Ach?«
»Du weißt sicher, daß Kinder während einer bestimmten Phase ihrer
Entwicklung dazu neigen, Fliegen die Flügel auszureißen und so.«
»Ich habe so etwas nie getan«, sagte Rincewind. »Man darf Fliegen nicht trauen. So klein sie auch sind – sie können sehr gemein werden.«
»Kinder allgemein, meine ich.«
»Ja und?«
»Er ist der Kaiser. Niemand hat je gewagt, ihn darauf hinzuweisen, daß so etwas falsch ist. Er reißt Flügel auf einem anderen… äh… Niveau aus.
Die fünf Familien kämpfen gegeneinander um den Thron. Und der Kai-
ser hat aus dem gleichen Grund seinen Neffen umgebracht. Nie hat ihm
jemand gesagt, daß es falsch ist, andere Personen aus Spaß zu töten.
Zumindest hat niemand Gelegenheit gehabt, mehr als nur den ersten
Satz zu sagen. Die Hongs,
Weitere Kostenlose Bücher