Echte Morde
Nähe geführt hatte.
Richtig - da kam er auch schon durch die Schwingtür an der rechten Seite der Fleischabteilung geeilt, und ich richtete mich seufzend darauf ein, gleich nett zu ihm sein zu müssen. „Die Polizei war gestern Abend bei mir zu Hause", verkündete er atemlos. „Die Beamten wollten wissen, warum ich nicht zum Treffen gekommen bin."
„Was hast du ihnen erzählt?", fragte ich unumwunden. Der Anblick seiner blutbefleckten Schürze bereitete mir Magenschmerzen. Wie war ich nur auf die Idee gekommen, Hackfleisch kaufen zu wollen?
„Ich fand es schade, dein Referat zu verpassen", versicherte er, obwohl ich ihn gar nicht danach gefragt hatte. ,,Aber ich hatte etwas anderes vor."
„Was sagst du jetzt?", erkundigte sich seine triumphierende Miene. Benjamins Worte kamen gutmütig und entschuldigend, seine Stimme klang demütig wie eh und je, aber sein Gesicht sprach eine ganz andere Sprache.
Ich sah ihn fragend an. Nein, Hackfleisch kam überhaupt nicht in Frage. Vielleicht gar kein rotes Fleisch.
„Ich bin jetzt in der Politik", verkündete er bescheiden, aber mit selbstbewusst blitzenden Augen.
„Die Bürgermeisterwahl?" Das war geraten.
„Genau. Ich helfe Morrison Pettigrue. Ich leite seinen Wahlkampf." Seine Stimme bebte vor Stolz.
Wer immer dieser Morrison Pettigrue sein mochte: Er würde die Wahl auf jeden Fall verlieren. Irgendwie kam mir der Name halbwegs bekannt vor, aber ich hatte nicht vor, hier auszuharren, bis mir eingefallen war, woher ich ihn kannte und was ich über den Mann wusste.
„Viel Glück", sagte ich mit dem besten Lächeln, das ich aufbringen konnte.
„Wollen wir nächste Woche zusammen auf eine Wahlveranstaltung gehen?"
Mein Gott, der Mann bettelte ja förmlich um Schläge! Wie sonst ließ sich sein Verhalten erklären? Ich sah ihn an und dachte: „Du jämmerlicher kleiner Wicht." Natürlich schämte ich mich sofort für diesen Gedanken, und das wiederum machte mich wütend - auf mich und auf ihn.
„Nein, Benjamin!", sagte ich bestimmt und ohne weitere Erklärung. Ich wollte nicht, dass er noch einmal fragte.
„Gut", sagte er, ganz der leidende Märtyrer. „Na dann - man sieht sich." Wieder zitterte seine Stimme, auch wenn er sich um ein tapferes Lächeln bemühte.
Darauf gab es eine gute, probate Antwort, die mir auch prompt auf der Zunge lag. Ich konnte mir gerade noch verkneifen, sie laut auszusprechen, flüsterte sie aber vor mich hin, während ich meinen Einkaufswagen hastig weiterschob: „Nicht, wenn ich dich zuerst sehe!" Erst als ich langsamer wurde und mich beim Anstarren von Säcken mit Hundefutter ertappte, wurde mir bewusst, dass die Unterhaltung eben in mehr als einer Hinsicht sehr merkwürdig verlaufen war.
Zum einen hatte mir Benjamin keine einzige Frage nach dem Vorabend gestellt. Weder hatte er sich erkundigt, wer denn alles zum Treffen erschienen war, noch hatte er sich dazu geäußert, wie seltsam es doch war, dass ausgerechnet beim einzigen Clubabend, den er je versäumt hatte, etwas so Außergewöhnliches vorfallen musste. Er hatte noch nicht einmal wissen wollen, wie es für mich gewesen war, Mamies Leiche zu finden, und das hatten außer ihm sämtliche Bekannten, denen ich im Laden über den Weg gelaufen war, auf die eine oder andere Art aus mir herausbekommen wollen.
Über all diese Ungereimtheiten grübelte ich noch, während ich mir Shampoo aussuchte, beschloss dann aber, an Benjamin Greer keinen weiteren Gedanken mehr zu verschwenden. Da war es doch viel besser, sich über die Leute aufzuregen, die in diesem Supermarkt die Regale bestückten! Sämtliche zuckerlastigen Frühstücksflocken, die von der Aufmachung her eher an Comiczeitschriften erinnerten, befanden sich auf meiner Augenhöhe, während die gesetzteren Verpackungen mit den Flocken für Erwachsene im Regal hoch über meinem Kopf wohnten.
Ich wäre gerade eben noch an einen der Kartons gekommen, nur dass die Leute, die die Regale auffüllten, über die aufrecht stehenden Schachteln noch jeweils einige quer gelegt hatten.
Zog ich also eine Schachtel heraus, an die ich mit den Fingerspitzen herankam, würden unweigerlich die oben liegenden mit herunterkommen, zweifellos nicht ohne einigen Lärm, was Aufmerksamkeit erregen würde. Das wusste ich aus unangenehmer Erfahrung.
Ich stellte mich seitlich an das Regal und reckte mich auf Zehenspitzen, um höher hinauflangen zu können. Keine Chance.
Musste ich jetzt die Müslisorte wechseln? Sollte ich anfangen,
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