Echte Morde
Haus der Kriegsveteranen würde helfen, den Todeszeitpunkt einzukreisen. Also schilderte ich, obgleich ich dies am Abend zuvor bereits getan hatte, noch einmal all meine banalen Tätigkeiten.
„Können Sie mir eine gute Darstellung des Mordfalls Wallace borgen?", erkundigte sich Arthur, als er sich offensichtlich nur ungern von meiner Couch erhob. Er wirkte womöglich noch fertiger als bei seiner Ankunft, als hätte ihm die kurze Verschnaufpause, anstatt ihm zu helfen, erst recht deutlich gemacht, wie müde er war. „Ich brauche außerdem eine Liste sämtlicher Clubmitglieder."
„Beim Wallace-Mord kann ich Ihnen behilflich sein", versicherte ich. „Aber die Liste müssen Sie sich bei Jane Engle besorgen. Sie ist unsere Schriftführerin." Das Buch, mit dem ich bei der Ausarbeitung meines Vortrages gearbeitet hatte, war schnell gefunden. Ich sah nach, ob mein Name drinstand, drohte Arthur, ihn festnehmen zu lassen, wenn er es nicht zurückbrachte, und begleitete meinen Besucher zur Vordertür.
Dorr legte er mir zu meinem großen Erstaunen beide Hände auf die Schultern und drückte fest zu - ziemlich fest. „Machen Sie nicht so ein verzweifeltes Gesicht!", sagte er, und blaue Augen bohrten sich in mein Gesicht. Mir lief ein Schauer über den Rücken. „Ihnen ist gestern etwas aufgefallen, was die meisten Leute gar nicht bemerkt hätten. Sie waren zäh, klug und haben aufgepasst wie ein Schießhund." Er griff nach einer losen Strähne, die mir ins Gesicht hing und drehte sie zwischen den Fingern hin und her. „Ich melde mich bald wieder bei Ihnen", sagte er. „Vielleicht morgen."
Aber wie sich herausstellen sollte, sollten wir einander schon viel früher wiedersehen.
KAPITEL FÜNF
Während ich Arthur zur Tür gebracht hatte, war mir ein Umzugswagen aufgefallen, der vor Robin Crusoes Haus stand. Als kurz darauf mein Telefon klingelte, nahm ich den Anruf aus reiner Neugier im Schlafzimmer entgegen, weil der Apparat dort eine lange Schnur hatte und ich vom Fenster aus das Auspacken nebenan beobachten konnte. Ich blieb auch gleich oben, denn nachdem sich die Nachricht vom Mord an Marnie unter meinen Freunden und Arbeitskollegen herumgesprochen hatte, klingelte das Telefon praktisch ununterbrochen. Mein Vater rief an, als ich gerade seine Nummer wählen wollte. Anscheinend sorgte er sich nicht nur um mein Wohlergehen, sondern ebenso sehr darum, ob ich immer noch willens und in der Lage war, Phillip am Wochenende zu mir zu nehmen.
„Ist wirklich alles in Ordnung?", erkundigte sich gleich nach Vater besagter Phillip persönlich sanft und höflich. So leise und höflich gab er sich nie, wenn man ihn leibhaftig vor sich hatte, aber das Telefon hatte aus irgendwelchen unerfindlichen Gründen einen heilsamen Einfluss auf seine Manieren.
„Ja, Bruderherz, mir geht es gut", entgegnete ich.
„Weil ich nämlich gern zu dir kommen möchte. Darf ich?"
„Klar."
„Backst du dann einen Pekannusskuchen?"
„Möglich, wenn man mich lieb bittet."
„Bitte, bitte, bitte?"
„Das war schon recht lieb! Du kannst auf den Kuchen zählen."
„Hast du das Gefühl, ich erpresse dich?", wollte Vater wissen, nachdem Phillip das Telefon wieder freigegeben hatte.
„Wenn du mich so fragst, schon."
„Gut, gut! Ich bekenne mich schuldig, und ich fühle mich auch so. Aber Betty will so gern zu dieser Tagung. Ihre beste Freundin aus der Studienzeit hat auch einen Zeitungsmann geheiratet, und die beiden werden da sein."
„Sag ihr, ich nehme Phillip auf jeden Fall." Ich liebte meinen Bruder, auch wenn ich anfangs eine Heidenangst davor gehabt hatte, ihn auch nur im Arm zu halten, so sehr mangelte es mir an Erfahrung mit Babys, und eins musste man Betty Jo lassen: Sie hatte sich von Anfang an sehr dafür eingesetzt, dass Phillip Kontakt zu seiner großen Schwester bekam.
Nachdem ich auch diesen Anruf beendet hatte, gähnte mich der Rest des Tages an wie eine große, dunkle Höhle. Da ich frei hatte, versuchte ich Dinge zu tun, die ich für gewöhnlich an meinem freien Tag erledigte: Ich bezahlte Rechnungen und kümmerte mich um meine Wäsche.
Meine beste Freundin Amina Day war gerade nach Houston gezogen, wo man ihr einen so guten Job angeboten hatte, dass ich ihr den Umzug nicht verdenken konnte, aber sie fehlte mir sehr. Ehe ich den Fuß in die Küche des Veteranenheims gesetzt und Marnies Leiche gefunden hatte, war ich mir recht oft wie eine Dorfpomeranze vorgekommen, in deren Leben sich nie etwas Aufregendes abspielt.
Weitere Kostenlose Bücher