Echte Morde
nur die mit Cremefüllung. Hm. Keine Karte dabei. Das ist komisch."
„Vermutlich ist Dad einfach eingefallen, wie gern du die Pralinen magst, und er hat sie so losgeschickt", sagte ich, wohl wissend, wie schwach das Argument war. Irgendwie passte so eine Geste schlecht zu meinem Vater. Ein spontanes Geschenk, obwohl Mutters Geburtstag noch Monate hin war und er ihr seit der Scheidung nichts mehr zum Geburtstag geschenkt hatte?
Ein spontaner Akt - ein netter, spontaner Akt? Nur dass Vater nie spontan handelte. Ich hatte mein vorsichtiges Wesen auf ehrbare Art und Weise erworben.
Mutter hielt Robin die Schachtel hin, doch der schüttelte den Kopf, woraufhin sie sich ganz auf die herrliche Aufgabe konzentrieren durfte, die erste Mrs. See's-Praline des Tages auszusuchen.
Das war immer eins unserer Lieblingsrituale an Weihnachten gewesen. Plötzlich fühlte sich das milde Frühlingswetter ganz falsch an.
„Wie lange das jetzt her ist!", flüsterte sie, ehe sie sich endlich für eine Praline entschieden hatte. „Aurora, sind das hier die mit der Karamellfüllung?"
Folgsam sah ich mir die fragliche Praline an. Von unten, da ich saß und Mutter stand. Also entdeckte ich, was ihr nicht aufgefallen war: ein Löchlein im Boden der Praline.
Sie war beim Transport beschädigt worden?
Abrupt beugte ich mich vor und wickelte noch eine Schokopraline aus ihrer Papierumhüllung. Es war ein Nussberg, und er war unberührt. Ich stieß einen Seufzer der Erleichterung aus und nahm die nächste Praline mit Cremefüllung eigentlich nur aus der Schachtel, weil ich auf Nummer sicher gehen wollte.
Die Praline hatte ein Loch im Boden. „Mutter, leg die Praline weg!
„Wolltest du die?", fragte sie mit ob meines Tonfalls hochgezogenen Brauen.
„Leg sie hin."
Das tat sie denn auch, allerdings nicht, ohne mir einen zornigen Blick zuzuwerfen.
„Mit der Praline stimmt etwas nicht, Mom. Robin, schauen Sie." Ich stupste die Praline, die meine Mutter aus der Hand gelegt hatte, vorsichtig mit dem Fingernagel an.
Robin hob die Schokoleckerei hoch und sah sich den Boden an. Er legte sie weg und prüfte noch weitere Pralinen. Mutter beobachtete ihn wütend und verängstigt.
„Das ist doch wohl lächerlich", sagte sie.
„Ich glaube nicht, Mrs. Teagarden", antwortete Robin endlich. „Ich glaube, da hat jemand versucht, Sie zu vergiften, und Roe vielleicht gleich mit."
KAPITEL SECHS
Also kam Arthur gleich zweimal am selben Tag in offizieller Mission zu mir nach Hause, nur dass er beim zweiten Mal noch eine Beamtin mitbrachte. Vielleicht brachte ja auch eher sie ihn mit: Lynn Liggett arbeitete für das Morddezernat und war so groß wie Arthur, also ziemlich groß für eine Frau.
Ich konnte nicht behaupten, dass ich zu dem Zeitpunkt große Angst verspürte. Der Adressaufkleber auf dem Päckchen gab mir zu denken, das schon, da es den Anschein hatte, er sei von meinem Vater geschrieben worden, und ich war aufgebracht, weil jemand versucht hatte, mich mit einem Trick dazu zu bringen, etwas Ungesundes zu mir zu nehmen. Aber noch war ich ziemlich sicher, dass sich der Inhalt der Pralinen als relativ harmlos entpuppen würde, dass er Mutter und mir zwar ein paar unangenehme Stunden beschert, uns aber auf keinen Fall umgebracht hätte. An Gift heranzukommen war nämlich gar nicht so einfach.
Arthur aber schien die Angelegenheit ziemlich ernst zu nehmen, und Lynn Liggett stellte Fragen über Fragen. Ich sah die Anstecknadel am Revers meiner Mutter immer gereizter auf und ab hüpfen, und als Detective Liggett die sorgsam in einer Plastiktüte verwahrten Pralinen zu Arthurs Auto trug, zischte Mom mir wütend zu: „Die tut ja fast so, als führten wir kein anständiges Leben!"
„Sie kennt uns nicht, Mutter", versuchte ich zu beruhigen, auch wenn mich Detective Liggetts Benehmen um ehrlich zu sein selbst ein wenig ungehalten stimmte. Einige ihrer Fragen waren auch mir sauer aufgestoßen: „Haben Sie kürzlich eine Beziehung beendet, Mrs. Teagarden, und nun empfindet jemand Ihnen gegenüber Feindseligkeit?" und „Wie lange kennen Sie Mr. Crusoe schon, Miss Teagarden?" Ich hatte bisher nie verstehen können, warum manch ehrbarer Bürger nicht mit der Polizei kooperieren mochte. Die Beamten taten doch nur ihre Pflicht, nicht? Es ging schließlich nicht um einen selbst, für die Polizei galt es, alle Bürger gleich zu behandeln und so weiter und so fort.
Inzwischen verstand ich solches Unbehagen schon besser. Dass Jack Burns mich angesehen
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