Echte Morde
einleuchtenden Geschichte." Ich berichtete Robin vom Fall Cordelia Botkin und den Übereinstimmungen mit „unserer" Pralinenaffäre. Er schien sehr interessiert.
„So etwas wie diese Mordfälle ist mir noch nie zu Ohren gekommen", sagte er, als der Salat vor uns stand. „Was für ein Buch man daraus machen könnte! Vielleicht schreibe ich es selbst, das wäre mein erstes Sachbuch." Robin war neu in Lawrenceton. Er hatte eine größere Distanz zu den Ereignissen als wir, kannte weder die Opfer (es sei denn, man konnte Mutter als
„Opfer" bezeichnen) noch bestand große Wahrscheinlichkeit, dass er den Täter kannte. Eigentlich überraschte es mich, dass ihn die Verbrechen so brennend interessierten, aber er begründete es sofort. „Über Verbrechen zu schreiben heißt noch lange nicht, dass man selbst in dieser Richtung konkrete Erfahrungen hat, Roe. So dicht komme ich jetzt zum ersten Mal an einen echten Mordfall heran."
Wahrscheinlich galt das auch für mich, in meinem Fall als Leserin, nicht als Autorin. Seit Jahren verschlang ich begeistert reale und fiktive Mordgeschichten, erlebte in diesen Tagen aber zum ersten Mal eine direkte Berührung mit gewaltsamem Tod.
„Ich hoffe, näher als jetzt komme ich nicht mehr an einen echten Mord heran", sagte ich leise.
Robin nahm über den Tisch hinweg meine Hand. „Das steht kaum zu befürchten", meinte er vorsichtig. „Ich weiß ja von den vergifteten Pralinen - obwohl wir bisher noch nicht einmal mit Sicherheit sagen können, dass sie wirklich vergiftet waren. So etwas kann einem schon Angst machen, das verstehe ich. Aber der Anschlag hatte auch etwas Unpersönliches, nicht wahr? Die Situation Ihrer Mutter passt vage zu der der verlassenen Ehefrau im Fall Botkin, wenn auch nicht so nahtlos wie Mamie Wright in das Profil Julia Wallaces. Deswegen wurde sie als Opfer ausgesucht."
„Aber die Pralinen kamen an meine Adresse." Plötzlich überfiel mich große Furcht, die ich bisher erfolgreich verdrängt hatte.
„Das hat der Täter absichtlich gemacht, um mich auch mit hineinzuziehen. Meine Mutter passte in das Muster. Obwohl das für mich kein Trost gewesen wäre, wäre sie gestorben!" Ich schnappte nach Luft. „Aber mir die Pralinen zu schicken ... das war ein ganz bewusster Versuch ... mich ... sterben zu lassen.
Oder mich zumindest zusehen zu lassen, wie meine Mutter stirbt oder es ihr sehr schlecht geht. Je nachdem, was in den Pralinen war. Das passt in kein Muster, das ist so persönlich, wie es nur geht."
„Was für ein Mensch könnte so etwas tun?", meinte Robin nachdenklich.
Ich blickte ihn an. „Das ist der springende Punkt, nicht wahr?
Deswegen befassen wir uns so gern mit historischen Mordfällen. Weil wir da aus sicherem Abstand und ohne Reue oder andere persönliche Gefühle darüber nachdenken können, wie ein Mensch beschaffen sein muss, um einem anderen ,so etwas' anzutun. Fast jeder von uns wäre theoretisch in der Lage, jemanden umzubringen. Ich auch, nehme ich mal an, triebe man mich in die Enge. Aber ich bin sicher - ich muss mir da einfach sicher sein -, dass nur wenige Menschen sich einfach hinsetzen und den Tod anderer als Teil eines Spiels planen, das sie spielen möchten. Solche Menschen sind selten. Daran muss ich einfach glauben."
„Ich auch", sagte Robin.
„Der Mörder, mit dem wir es hier zu tun haben, handelt aus keinem der bekannten Motive, die Tennyson Jessier abhandelt.
Es muss jemand sein, der etwas auslebt, der endlich tut, was er immer schon mal tun wollte. Aus irgendeinem Grund ist er jetzt in der Lage, es zu tun."
„Ein Mitglied eures Clubs."
„Ein ehemaliges Mitglied", stellte ich traurig richtig und berichtete Robin von unserem Treffen am Sonntagabend.
Gab es sonst nichts, worüber wir reden konnten? Hatten wir außer Mord keine gemeinsamen Gesprächsthemen? Robin schien zu spüren, dass mir alles zu viel wurde und erzählte mir von seinem Agenten und den Entstehungsgeschichten seiner Bücher. Er gab lustige Anekdoten von seinen Lesereisen zum Besten, ich revanchierte mich mit Geschichten über Besucher unserer Bibliothek und rekapitulierte ein paar der haarsträubenderen Fragen, die mir im Laufe meines Berufslebens untergekommen waren. Unterm Strich wurde es ein ziemlich vergnügter Abend, und wir saßen immer noch an unserem Tisch, als die Crandalls und die Buckleys sich die Rechnung bringen ließen, zahlten und gingen.
Da das Kutschenhaus am südlichen Rand unserer Stadt lag, mussten wir erst
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