Echte Morde
Mal fragte die Telefonistin dort nach meinem Namen, ehe sie mich zu Sally durchstellte. Die Dramen in unserer Stadt hatten Sally frischen Wind in den Segeln verschafft, das war schon mal klar.
„Was kann ich für dich tun?" Sally klang sehr beschäftigt, und ich bekam das Gefühl, dass sie überhaupt nur mit mir sprach, weil ich im Moment noch halbwegs öffentliches Gesprächsthema war. Noch am Vortag war ich absolut angesagt gewesen, nun begann das Interesse schon abzukühlen. Auf mich wirkte die mangelnde Begeisterung in Sallys Tonfall allerdings wie ein Schuss Adrenalin.
„Weiß man schon, wann die Buckleys beerdigt werden?"
„Die Leichname liegen noch im gerichtsmedizinischen Institut, ich weiß nicht, wann sie freigegeben werden. Lizannes Tante sagt, die Familie konnte für die Beisetzung noch keine konkreten Pläne machen."
„Oh. Na dann ..."
„Hör mal, wo ich dich gerade am Apparat habe ... einer der Polizisten sagte, du wärst gestern am Tatort gewesen?" Unter Garantie hatte Sally die Zeitung mit dem Bild von Lizanne und mir zu Gesicht bekommen. Langsam wurde die Frau mir zu arrogant. „Magst du mir erzählen, was geschah, als du dort warst?"
Mir schossen auf Anhieb so viele wütende Gedanken durch den Kopf, dass ich erst mal den Mund hielt. „Ich weiß nicht, ob du für diese Story die richtige Frau bist, Sally", sagte ich nach einer ganzen Weile.
Sally gab einen halb erstickten Laut von sich - so, als hätte sich gerade ihr Lieblingsschaf gegen sie gewandt und sie gebissen.
„Schließlich gehörst du zum Club", fuhr ich fort, „und wenn man es genau nimmt, sind wir alle auf die eine oder andere Art direkt von diesen Vorgängen hier betroffen." Sally hatte außerdem einen Sohn, der ebenfalls Clubmitglied war und den man nicht gerade als normal bezeichnen konnte.
„Ich glaube schon, dass ich die nötige Objektivität aufbringe", erwiderte Sally kalt, „und meiner Meinung nach ist man als simples Mitglied von Echte Morde auch nicht automatisch in all diese Mordfälle verwickelt."
Immerhin stellte sie mir keine Fragen mehr. Es klingelte.
„Ich muss Schluss machen, Sally", sagte ich sanft, ehe ich auflegte.
Stolz war ich nicht auf mich, als ich zur Tür ging. Im Gegenteil: Ich schämte mich fast ein wenig. Sally tat nur, was ihr Job von ihr verlangte. Aber mir fiel es schwer, ihre Wandlung von der Freundin zur Reporterin zu akzeptieren, ich mochte es nicht, dass sie in mir nur noch eine Nachrichtenquelle sah. Alle möglichen Leute um mich herum taten lediglich, was ihr Job von ihnen verlangte, und dass sie das taten, hatte mein Leben in letzter Zeit zu oft auf den Kopf gestellt.
Eins hatten mich die Ereignisse der letzten Tage gelehrt: Ich warf einen Blick durch den Türspion, ehe ich meinem Besucher öffnete. Es war Arthur, und er sah genauso gespenstisch aus wie ich am Morgen. Die Falten hatten sich tiefer in sein Gesicht eingegraben, er wirkte um mindestens zehn Jahre gealtert.
„Hast du heute schon irgendetwas gegessen?", fragte ich ihn zur Begrüßung.
„Nein", musste er nach einigem Nachdenken gestehen. „Seit fünf Uhr nicht mehr. Da bin ich aufgestanden und ins Revier gefahren." Ich zog ihm einen Stuhl an den Küchentisch, auf dem er ganz automatisch Platz nahm.
Es ist gar nicht so einfach, das perfekte Hausmütterchen zu spielen, wenn man überraschenden Besuch bekam, aber ich fischte ein Sandwich mit Schinken und Käse aus der Gefriertruhe und steckte es in die Mikrowelle, schüttelte ein paar Kartoffelchips aus der Tüte und mischte einen ziemlich jämmerlichen Salat zusammen. Aber Arthur schien überglücklich, als ich den Teller vor ihn hinstellte. Er sprach ein kurzes Gebet und fiel hungrig über das Essen her.
„Lass dir Zeit, iss in Ruhe", ermahnte ich ihn. Ich machte mich an der Kaffeemaschine zu schaffen und wischte den Küchentresen ab, damit er nicht das Gefühl hatte, ich erwarte ein Gespräch. Es entspann sich ein seltsam häusliches kleines Intervall, bei dem ich wieder zu mir fand. Zum ersten Mal, seit ich mein Auto abgestellt hatte, um Lizanne beizustehen, fühlte ich mich nicht mehr gehetzt. Vielleicht würde der Abend in der Bibliothek ganz normal vergehen, vielleicht würde ich nach Hause kommen und schlafen können. Stundenlang schlafen, in einem sauberen Nachthemd.
Arthur sah wesentlich besser aus, nachdem er gegessen hatte. Als ich kam, um seinen leeren Teller abzuräumen, packte er mich beim Handgelenk, zog mich auf seinen Schoß und küsste
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