Echte Morde
sich durch nichts ablenken lassen würde?
„So lang?" Er deutete mit beiden Händen eine Länge an.
„Ja, über den Daumen gepeilt." Normale Beillänge.
„Holzstiel, schwarzes Isolierband um den Griff gewickelt?"
„Ja." Das Isolierband hatte ich vergessen, aber jetzt, wo er es erwähnte, fiel es mir wieder ein.
„Verdammt!", zischte er, und dann noch eine Menge anderer unhöflicher Dinge. Seine dunklen Augen flackerten nervös.
Gifford Doakes war aufgeregt, und er hatte Angst. Auch ich hatte Angst, gleich doppelt: nicht nur vor dem Mörder, sondern gerade in diesem Moment ganz besonders vor Gifford. Der ja durchaus gleichzeitig auch der Mörder sein konnte.
Meine Finger schlangen sich immer fester um den Hefter, wobei ich mir wie ein Trottel vorkam. Wollte ich mich wirklich mit einem Hefter gegen einen Irren wehren? Mit einem Hefter, der, wie mir einfiel, nicht einmal mit Klammern bestückt war?
„Jetzt muss ich auf die Wache!", sagte Gifford völlig unerwartet. „Das ist mein Beil, da bin ich mir fast sicher. Reynaldo hat gestern bemerkt, dass es fehlt."
Leise legte ich den Hefter wieder auf den Tresen. Ein rascher Blick nach oben: Bankston beugte sich über das Geländer im ersten Stock, die Brauen zu einer stummen Frage erhoben. Ich schüttelte den Kopf. Hilfe würde ich keine mehr brauchen.
Gifford war einfach genauso nervös wie wir anderen, und das aus gutem Grund. Schicke Klamotten und perfekt modischer Haarschnitt hin oder her - gerade kaute er an seinem Daumennagel wie ein Fünfjähriger, dem die Welt zu kompliziert geworden ist.
„Am besten gehst du jetzt gleich zur Polizei", sagte ich leise, woraufhin er auf dem Absatz kehrtmachte und verschwunden war, noch ehe ich wieder Luft holen konnte.
Giffords Beil, Robins Aktentasche: Wer nicht als Opfer fungierte, musste als Mordverdächtiger herhalten. So hatte der Killer noch mehr Spaß an der Sache.
Welche Aufgabe war mir wohl zugedacht? Reichte es, dass ich Mamie gefunden hatte? War damit meine Rolle im Spiel beendet?
Über diese und noch viele andere unangenehme Fragen aus demselben Zusammenhang dachte ich nach, als Perry Allison hereinkam. Perry und Gifford an einem Abend, zwei echt tolle Typen - wie viel Pech konnte ein Mensch denn haben? Bei Giffords Besuch war ich wenigstens nicht allein im Haus gewesen, aber mittlerweile hatten sich Melanie und Bankston sowie zwei weitere Besucher leider wieder verabschiedet.
Diesmal zog ich lautlos eine der Tresenschubladen auf und holte eine Schere heraus. Ein Blick auf die Uhr: Noch fünfzehn Minuten, dann durfte ich schließen.
„Roe! Que pasa?" Perrys Finger veranstalteten auf der Tresenplatte einen manischen Trommelwirbel.
Mir wurde zunehmend mulmiger. Der Mann, der da vor mir stand, war nicht der vertraute unangenehme Perry in einer seiner üblen Launen, weil er vielleicht seine Pillen nicht geschluckt hatte. Perry hatte etwas geschluckt, nur nicht das Richtige. Er stand unter Drogen, die ihm bestimmt kein Doktor verschrieben hatte. Zwar hatte ich nie verstanden, was einem diese sogenannten Freizeitdrogen brachten und was man daran finden konnte, aber komplett naiv war ich auch nicht.
„Nicht viel, Perry", antwortete ich vorsichtig, auf seine Frage bezogen.
„Wie kannst du das behaupten, wo doch so viel passiert." Perrys Brauen flogen förmlich über das hagere Gesicht. „Praktisch täglich ein Mord. Heute war dein Schatz bei mir, der Bulle. Hat Fragen gestellt, Unterstellungen von sich gegeben, und das bei mir! Ich könnte doch keiner Fliege etwas antun!"
Er kicherte - und stand nach ein paar Schritten hinter dem Tresen.
„Eine Schere?" Er brach in schallendes Gelächter aus. „Eine Schehehehere?" Jetzt versuchte er sich mit Meckern. Seine raschen, abgehackten Bewegungen, so ganz anders als die des Perrys, den ich von der Arbeit her kannte, schockierten mich so, dass ich nicht reagieren konnte, als seine Hand vorschoss und mich am Handgelenk packte — an der Hand, in der ich die Schere hielt. Perry drückte zu, kräftig, rücksichtslos, manisch.
„Das tut weh, Perry!", sagte ich scharf. „Lass los!"
Er lachte. Lachte und lachte und ließ keine Sekunde lang locker. Gleich würde ich loslassen, und was danach kam, das mochte ich mir nicht ausmalen.
Zumal Perrys Gelächter jetzt in Wut umschlug. „Du wolltest mich niederstechen!", brüllte er. „Von euch will keiner, dass ich es schaffe! Keiner weiß, wie es im Krankenhaus war."
Da hatte er recht, und unter anderen
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