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Echtzeit

Titel: Echtzeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabriel Barylli
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Alltagsrealität. Ganz, ganz böse Menschen lauern da draußen, die einem kleinen Mädchen wehtun wollen. Und darum fürchtet sich das kleine Mädchen und fragt sich: »Ist denn da niemand, der mich erkennt … und beschützt und heim holt zu sich? In seine Wohnung? Und dort mit mir zusammenlebt und mit mir macht, was er will. Und was ich will.«
    Es müssen nämlich immer zwei Menschen dasselbe wollen, Andreas. Sonst geht es schief. Früher oder später geht sonst alles schief. Nicht wahr? Aber wenn das jemand weiß, dann bist das du. Das habe ich schon in deinen ersten Worten wahrgenommen. Du bist so ein lieber Mann. Ein guter Mann. Ein Mann, der voraussehen kann. Der vorsichtig ist. Weit nach vorne sehen kann. Darum habe ich mich dir auch anvertraut. Mein Mann. Und jetzt ist etwas geschehen, das ich dir nicht verheimlichen will. Dir gegenüber möchte ich ganz offen sein. Ich muss dir sagen, dass ich auch schon ohne deine Einladungen zum Essengehen über sieben Kilo zugenommen habe. Erschrick jetzt bitte nicht. Ich möchte nicht, dass du dich jetzt betrogen fühlst. Im Gegenteil. Ich habe so eine Freude gespürt, als ich in all den Fotos und Briefen deine Wunschträume erkannt habe, dass ich mir gleich ein paar Tiefkühltorten gekauft habe und sie am Abend vor dem Fernseher aufgegessen habe. Mit einer Tüte Erdnüsse dazu. Das ist auch sehr gut, wenn man sehr schnell zunehmen will. Erdnüsse. Du weißt sicher, dass das Lieblingsessen von Elvis Presley Erdnussbuttertoasts waren. Mit Bananenscheiben obendrauf. Und wie hat er danach ausgesehen? Wie ein süßes, rundes, schwabbeliges Schweinchen. Das hat mir sehr gefallen. Was ich dir aber jetzt eigentlich sagen will, Andreas, ist etwas ganz anderes. Mein Mann. Ja. Eine schöne, wunderschöne Zeit lang warst du mein Mann. Der Mann, der mich so will, wie ich bin und vor allem der Mann, der mich zu dem machen will, was er will. Fett. Zu seiner fetten Frau.
    Genau darum muss ich mich heute von dir trennen. Ich muss dir sagen, dass unsere Zeit zu dem Schönsten gehört, was ich jemals erlebt habe und darum beende ich sie auch jetzt mit dieser E-Mail. Es kann nicht mehr schöner werden. Ich habe erlebt, wie viel ich dir bedeute und dieses Gefühl will ich auf ewig in meinem Herzen behalten. Und konservieren. Es kann nur mehr weniger werden. Verstehst du das? Der Tag wird kommen, da wirst du dich an mir sattgesehen haben. Das weiß ich und das will ich nicht.
    Mir ist nämlich schlecht geworden nach den Torten und den Erdnüssen. Und gestern war mir sehr schwindlig in der Küche, als ich vor dem Kühlschrank gekniet bin und aufstehen wollte. Da ist mir ganz schwarz geworden vor den Augen. Und der Notarzt, den ich gerufen habe, hat mir befohlen, mit einer Diät zu beginnen. Und wenn ich vorhin geschrieben hab, dass du dich an mir sattsehen wirst, dann habe ich nicht die dicke Kuh gemeint, die ich für dich sein wollte – Andreas – mein Stier. Ich habe das Mädchen gemeint, das ich in einem Jahr sein werde. Nach meiner Diät. Die ich heute begonnen habe. Wenn ich 63 Kilo verloren habe, wirst du mich wegschicken und das will ich nicht erleben. Glaube mir, es ist besser so. Ich werde uns beiden diesen Kummer ersparen und einen Schlussstrich ziehen. Mit einem glühenden Schwert. Darum sage ich dir Lebewohl, Andreas. Leb wohl und ich danke dir für die schönen Momente der Hoffnung. In zwei Jahren werde ich in Kleidergröße 36 passen und dann wirst du mich schon längst vergessen haben. Deine kleine fette Zuckermaus.
    Das habe ich geschrieben und auf eine Antwort gewartet.
    Was dann kam, war allerdings keine Antwort. Es war eine Wasserstoffbombe an Vernichtungswut. Ich sollte mich doch aufhängen am nächsten Laternenpfahl. Und das wäre noch zu freundlich für den Abschluss meines Lebens! Ich wäre zu schnell erlöst von den Qualen meines sinnlosen, überflüssigen, kranken Lebens. Ich wäre zu schnell und fast schwerelos befreit von dem Abgrund meiner Überflüssigkeit. Meines Daseins, das beinahe gerettet worden wäre! – Durch ihn – versteht sich. Nein, der schnelle Tod wäre keine Strafe für mich. Es wäre ja geradezu eine Belohnung. Wenn er mich in die Finger bekommen könnte, dann würde ich erleben, was wahre Schmerzen sind. Er hätte die geeigneten Mittel und Wege, um mich zu »belehren«. Er hat tatsächlich »belehren« geschrieben. Worauf ich mir natürlich Gedanken über seinen Berufsstand gemacht habe. Polizist. Dachte ich mir. Oder Anwalt. Ich glaube Anwalt

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