Echtzeit
ist der gewesen. Das ist meine Vermutung. Wie auch immer.
Auf jeden Fall hat er mir dann tatsächlich eine Auflistung geschickt von all den Peinigungen und Qualen, die er mir antun wollte. Daheim in seinem Keller. Isabell, ich sage dir – ich möchte bitte lieber nicht wissen, was sich so in den stillen, schallisolierten Kellern unter den Einfamilienhäusern unseres Landes abspielt. Er hat mir den Keller in allen Einzelheiten beschrieben. Die acht Stufen, die hinunterführen in sein Burgverlies. Und die Regale aus Metall an den Wänden, in denen er seine Werkzeuge aufhebt. Die für die Gartenarbeit und die für die kleinen Reparaturen im Haus und am Wagen. Ganz besonders innig hat er mir seinen elektrischen Lötkolben beschrieben und was er alles damit anstellen wird, wenn er mich dann eines Tages in die Finger bekommt. Ketten hat er auch da unten und mehrere Liter Salzsäure. Mit der entfernt er das Unkraut zwischen den Steinen vor seiner Garage. Ein ganz Ordentlicher! Hat er mir alles haarklein beschrieben. Auch seine Werkbank, die mitten im Keller steht. 250 Zentimeter lang und 60 Zentimeter breit. Mit einem großen, eisernen Schraubstock an der einen Schmalseite. Dort sollte ich auf alle möglichen Arten festgezurrt werden, um meiner Hinrichtung entgegenzusehen. Okay, habe ich mir gedacht, nachdem ich seitenweise diese Ergüsse gelesen hatte. Okay! Es war wohl wirklich besser, sich nicht mit ihm auf ein informatives Abendessen zu treffen. Trüffelspaghetti hin oder her. Ich hatte vielmehr den Verdacht, dass er doch ein Menschenfresser ist. Ohne Scherz. Du hast ja keine Ahnung, was für Angebote du entdecken kannst. In den einschlägigen Chatrooms. So um drei Uhr früh.
Da ist Menschenfresser schon fast eine konventionelle Langweiligkeit. Kein Scherz! Ich hab mir gedacht, der will mich hochmästen und dann in kleinen Aluschälchen luftdicht verschlossen tiefkühlen. Nachdem er mich zersägt hat. Er hat nämlich auch mehrere Sägen in seinem Kellerloch. In allen Größen. Von der großen Benzingetriebenen aus Kanada für ganze Bäume. Bis hin zur elektrischen Handbrotschneidemaschine. Die eine ist für die Arme und Beine, die andere für Finger und Ohren.
So genau werde ich das ja nie erfahren. Und er wird nie erfahren, wie ich wirklich bin und wie ich wirklich heiße und wo ich wirklich wohne. Das musst du dir merken, Isabell. Ganz wichtig. Das ist wirklich ganz wichtig. Du darfst niemals … niemals mit deinem echten Leben ins Internet gehen. Niemals! Du musst dir einen schönen Namen ausdenken. So wie du schon immer heißen wolltest. Ricarda zum Beispiel. Oder Elisabeth. Beides Namen, die sehr gut zu deinem langen, braunen Haar passen. Und deinen braunen Augen … und auch das musst du dir gut überlegen. Ob du nicht als Elisabeth blond sein möchtest, mit grünen Augen und ganz vielen Sommersprossen … weil man dich sonst auf der Straße wiedererkennen kann, wenn du dich zu genau beschreibst. Und du weißt ja nie, ob dein Internetpartner in Ohio ist oder im Stockwerk über dir. Also darfst du auch niemals, niemals deine Adresse angeben oder das Haus beschreiben, in dem du lebst. Die Wahnsinnigen finden das heraus. Glaub mir, die haben so einen Libidostau, die finden das heraus. Und dann steht eines Tages einer mit einem Koffer vor deiner Tür und drückt dir ein Taschentuch mit Chloroform auf das Gesicht und schleift dich dann in die Küche. Und in seinem Koffer hat er dann all sein Lieblingsspielzeug. Also pass auf dich auf – du Schöne. Kannst ja ruhig einmal erleben, wie es so ist, als Sommersprossenkind durch die Welt zu rennen. Und wenn du dich dann ganz neu erschaffen hast. Mit neuem Namen und Aussehen und ohne Brille, mit einem Haus irgendwo in Wuppertal, dann darfst du dich in den Dschungel wagen. Gut getarnt. Wie eine Wildkatze auf der Pirsch. Immer gegen den Wind an das Opfer heranschleichen. Und glaub mir … du findest genügend Opfer im weltweiten Netz.
Millionen einsamer, verzweifelter Einzelgänger warten da draußen, dass irgendjemand ihre Hilferufe beantwortet. Aber wenn du dann Lust hast, zu antworten, kann dir nichts passieren. Du schaust bei ihrem Striptease zu und bleibst selber im Dunkel des Zuschauerraums.
Das ist das Faszinierende an dem ganzen Spektakel. Du hast die Macht. Du allein. Die totale Macht. Du entscheidest, wer du sein willst. Du entscheidest, auf wen du reagieren willst. Und du entscheidest, wie lange euer Spiel dauern wird. Das Spiel, von dem du alleine die Regeln
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