Echtzeit
hat er Spezialköche fotografiert, die nur dafür zuständig waren, um Desserts zu kreieren. Créme Brulée zum Beispiel. Oder Apfelstrudel mit heißer Vanillesauce. Oder Mohr im Hemd. Mit Schlagsahne. Oder Salzburger Nockerl mit ganz, ganz viel Puderzucker. Oder Nusspalatschinken, mit heißer Schokolade übergossen.
All das hat er fotografiert. Dann darf man natürlich nicht die schweren Rotweine vergessen. Die Amarones und Barolos und Bordeaux … und die schweren Cognacs zum Abschluss. Nachdem die fetten, französischen Käsesorten gereicht worden sind. Mit weichem, frisch gebackenem Baguette … All das hat Andreas fotografiert und mir zukommen lassen. Per E-Mail. In sieben verschiedenen Restaurants hat er mir die Juwelen der Speisekarte dokumentiert und mir zu Füßen gelegt. In seinem Begleitschreiben war zu lesen, dass er es kaum erwarten kann, mich jeden Abend der Woche in ein anderes Schlaraffenland zu entführen, um dabei zuzusehen, wie ich von Tag zu Tag und von Woche zu Woche zulegen würde. Bis dann endlich die magische 150-Kilo-Grenze erreicht wäre. Gut. Ich habe sehr aufmerksam all die Bilder studiert und mir einige der schönsten Gerichte abgespeichert.
Die Adressen der Restaurants habe ich auch. Sie sind alle hier im Umfeld, bequem mit dem Auto zu erreichen. Du weißt ja, diese Nobeletablissements sind ja meistens ein wenig auf dem Lande gelegen. In ehemaligen Gutshöfen oder Poststationen. Das hebt das Ambiente. Nicht wahr? Wenn du also vorbeischaust, musst du nur auf dein Lieblingsbild tippen und ich bin eine Stunde später mit dir zu Tisch. Vor einem flackernden Kaminfeuer, wenn du das möchtest.
Ich habe mir all das angesehen und vor allem die Preise verglichen. Mit den Preisen meines Hausitalieners. Hier unten bei mir. Gleich um die Ecke. Er heißt »Da Luigi« und genauso schmeckt seine Pizza. Einfach umwerfend. Und der Vergleich hat mir gezeigt, dass Andreas bereit war, die Summe eines mittleren PKWs in mich und meinen Fettaufbau zu investieren. Pro Monat. Und mit fünf bis sieben Monaten muss man schon rechnen, wenn man langsam und mit Genuss 30 Kilo zunehmen soll. Da habe ich dann begonnen, mich ein wenig zu fürchten. Vor so viel Radikalität.
Gut. Eine Frau schätzt es ja, wenn der Mann weiß, was er will. Aber diese wissenschaftliche Unerbittlichkeit, mit der er mir meinen kommenden Lebensweg dokumentiert hat, war auf bestimmte Weise nicht mehr lustig. Auf bestimmte Weise hat mir die Leichtigkeit gefehlt. Gut, 30 Kilo zunehmen hat nichts mit Leichtigkeit zu tun. Kleiner Scherz. Aber irgendwie hätte er es lockerer angehen müssen. Finde ich. Um mich zu ködern. Nein, habe ich gedacht. Da will ich nicht einmal zu einem Testessen erscheinen. Vielleicht ist er ja auch insgeheim ein Verehrer von Grimms Märchen. Und will mich in Wirklichkeit nur so lange mästen, bis er mich schlachten kann. Vielleicht ist er ein Menschenfresser. Lach nicht! Du hast keine Ahnung, was sich für Irre und komplett weggetretene Typen im Netz herumtreiben. Die Geschichte mit Andreas ist erst der Anfang. Da kommt noch mehr …
Also habe ich ihm eine E-Mail geschrieben. Nachdem ich über achtundvierzig Stunden mit einer Antwort gewartet habe. Ich habe ihn sozusagen auf kleiner Flamme gebrutzelt. Um mal in seinen Bildern zu sprechen: Achtundvierzig Stunden lang habe ich ihn schmoren lassen. So lange, bis seine E-Mails schon nahe an Selbstmordgedanken entlang geschrammt sind. Er hat mich angebettelt, endlich auf seine Einladungen zu antworten. Dann habe ich Folgendes geschrieben: Mein Mann! Ja. Andreas. Ich weiß genau, was ich jetzt geschrieben habe. Ich habe die zwei schönsten Worte meines Lebens geschrieben. »Mein Mann«. Weißt du, Andreas, jedes kleine Mädchen hat einen Traum. Das kleine Mädchen möchte eines Tages aufwachen und er ist da. Ihr Mann. Das ist mehr als ein Prinz, von dem die kleinen Mädchen als Erstes träumen. Irgendwann weiß jedes kleine Mädchen, dass die Prinzen ein Märchen sind. Und ihre weißen Pferde. Wir Mädchen lernen, dass diese Märchen eine kleine, süße Lüge sind. Denn kein richtiger Mann reitet sein halbes Leben lang allein durch die Wälder und ist dabei einsam und allein. Darum verabschiedet sich das kleine Mädchen von diesem Märchen und beginnt auf etwas viel Schöneres zu warten. Sie wartet auf ihren Mann.
Ich habe vom ersten Moment an gespürt, dass du ein Mann bist, der weiß, was wirklich los ist. Da draußen. Im Urwald. Im Dschungel. Im Hexenkessel der
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