Echtzeit
glaubst du, wie viele Barbies sich im Internet tummeln. Jede zweite! Jede zweite ist laut ihrer Aussage 175 Zentimeter groß, hat Babytaille, Marilyn-Hüften, drei Kilometer lange Beine und fünf Tonnen Busen. So beschreiben sie sich. Ist die Wahrheit. Zumindest in den Chatrooms, in die ich mich so einklinke. Um drei Uhr früh. Und du wirst es nicht glauben: Die Typen reagieren darauf. Wirklich. Völlig artgerechtes Verhalten. Sie schreiben dann, dass sie 195 Zentimeter groß sind und blaue Augen haben und dichtes, dunkles, leicht gewelltes Haar und eine Sportlehrerausbildung hinter sich haben und naturgemäß einen V-förmigen Oberkörper vorweisen können …
Ja, das schreiben sie … wirklich, und Barbie antwortet dann, wie toll sie das findet und dass sie gerne verwöhnt wird und Champagner trinkt bei Kerzenlicht und dazu durchsichtige französische Dessous anhat … Da muss ich dann immer an dich denken, Isabell! Kleiner Scherz! Du hast es ja nicht nötig, in irgendeinen obskuren Chatroom zu tauchen. Du sitzt ja schon im Trockenen. Aber Millionen von einsamen Herzen tun das nicht. Und die schicken einander dann ihre Wunschträume und lügen, bis sich die Balken biegen. Na gut, wahrscheinlich wissen Barbie und Ken die Wahrheit und genießen es ein wenig, zu träumen. Und sie genießen es mit Sicherheit, der Wahrheit niemals ins Gesicht schauen zu müssen. So wie ich es mit Andreas getan habe. Mit seinem Bekenntnis: »Ich will dich, wenn du fett genug bist.«
Wow! Habe ich mir gedacht und habe ein Experiment gestartet und ihm geantwortet.
»Hey du … endlich ein richtiger Mann! Ich heiße Ulla und bin 120 Kilo schwer. Meine Maße sind 110 … 142 … 138. Ist dir das fett genug?«
Was glaubst du, hat er geantwortet?! Hm? Ich werde es dir verraten!
»Du bist mein Baby!«, hat er geschrieben – und ich konnte am Bildschirm fühlen, wie er gejubelt hat dabei … »Ein Anfang ist gemacht! Weiter so. Wenn du 150 Kilo hast, steht für uns das Tor zum Paradies offen!«
Hast du das gehört? Hast du Töne? 150 Kilo. Ich dachte, ich sprenge den Rahmen mit meinen obszönen 120 Kilo und der Bursche schlägt noch mal 30 Kilo drauf! Bevor er mich überhaupt sehen will!
Das ist ein starkes Stück, habe ich mir gedacht und habe kurz überlegt, ob ich beleidigt sein soll, weil ihm meine 120 Kilo nicht genug waren. Nein, habe ich mir gesagt – das will ich jetzt wissen! Ich will wissen, wie weit man es treiben kann und habe geantwortet: »Endlich! Endlich! Mein Gott, wie lange muss eine Frau denn warten, bis sie endlich einem richtigen Mann begegnet. Einem Mann, der weiß, was er will. Einem Mann, der diesen Namen verdient, weil er keine Angst hat vor einer richtigen Frau. Gott der Allmächtige hat uns Frauen nun mal dazu erschaffen, unserem Mann zu gefallen. Er hat uns runde Formen geschenkt, um das Gefallen unseres Mannes zu erreichen. Runde! Runde Busen, runde Hüften, runde Pobacken, einen runden Bauch. Runde Wangen und Lippen und Augen. ›Alles am Weib sei rund!‹ Das war es, was Gott am siebten Tag gesprochen hat. Ich danke dem Himmel, Andreas, dass er dich auf meinen Weg geführt hat. Und ich danke dir für deinen Mut und deine Offenheit, mir deine wahren Wünsche zu sagen. 30 Kilo mehr willst du? Das sollst du haben! Ich werde alles tun, was in meiner Macht steht, um das rundeste Mädchen der Stadt zu werden! Glaubst du, du kannst mir dabei irgendwie helfen?!«
Ja, Isabell, das habe ich geschrieben und war neugierig auf seine Antwort. Zwei Tage später ist sie gekommen. Weißt du, was er gemacht hat?! Andreas hat sich seine Digitalkamera genommen und ist losgezogen. In die Stadt. In die besten und teuersten Restaurants, die es gibt. Dort ist er in die Küche gegangen und hat erst einmal die Speisekarte fotografiert. Die hat er mir dann per E-Mail geschickt. Damit aber nicht genug. Im nächsten Arbeitsgang hat er die Köche fotografiert, die in diesen edlen Schuppen ihre Arbeit tun. Alles sehr konzentriert aussehende Hochleistungsartisten. Die hat er bei der Arbeit fotografiert. Wie sie zum Beispiel eine Gänseleberterrine herstellen. Mit ganz viel gelbem Gänseschmalz. Und Trüffeln mittendrin. Oder gefüllte Kalbsbrust. Mit Serviettenknödel und Äpfel, Knödel, Kastanienfülle. Und ganz viel ausgelaufenem Fett. Von dem Speckmantel, mit dem die Kalbsbrust ins Rohr geschoben wird. Oder von dem Wiener Schnitzel mit Preiselbeeren. Oder dem Hirschragout mit Spätzle und Wildsauce. Dicker, cremiger Wildsauce. Dann
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