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Echtzeit

Titel: Echtzeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabriel Barylli
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Älterwerden. Wahrheit! Das ist die Wahrheit. Vor meinem Älterwerden, das meine Chancen auf dem Markt nicht gerade vergrößerte. Von meiner Müdigkeit, in all dem Irrsinn mitzuspielen und von meinen schlaflosen Nächten. Allein mit meiner Tasse voll heißem Cognac mit Milch. Von all dem hatte ich so endlos genug. Du kannst dir überhaupt keine Vorstellung machen.
    Da saß sie vor mir. Die sorgenfreie Zukunft. Mit moosgrünem Bugatti. Ein gut aussehender, durchtrainierter Röntgenologe mit blondem Haar und Mittelscheitel. Der nicht unangenehm nach »Eau Sauvage« roch. Und gepflegte Fingernägel hatte. Da saß die Hängematte, in die ich mich hineinplumpsen lassen konnte. Wenn ich nur wollte. Und warum sollte ich nicht wollen? Nur weil er ein wenig verrückt war?
    Und es ist ein wenig verrückt, einer Wildfremden in den ersten 57 Minuten einen Heiratsantrag zu machen. Na und?! Immer noch besser als diese ewigen Zauderer, die nichts auf die Reihe bringen und die Wäsche zu Mama bringen und mit der U-Bahn fahren. Zum Strandbad. Nicht zum eigenen Ufer! Wohlgemerkt!
    Diese entzückende Impulsivität sollte ein Hindernisgrund sein? Wünscht sich nicht jede Frau im tiefsten Herzen einen Draufgänger, der ohne anwaltliche Rücksprache und Absicherung einfach vorprescht? Einfach vorpreschen soll ein Mann und uns erobern. Im Sturm. Dies ist doch die tiefste Wahrheit. Die tiefste Sehnsucht jeder Frau besteht doch darin, ihren Helden zu finden. Der sie ohne Rücksicht auf Verluste hochhebt und mit ihr auf seinem Pferd in die Seevilla reitet. Wo sie nur mehr das passende Teegeschirr aufdecken muss. Am Wochenende. Wenn seine Geschäftsfreunde vorbeischauen. Aus dem Golfclub. Das, Schwestern. Ist die Wahrheit. Behaupte ich jetzt einfach.
    Ich habe seine Hand, in meiner Hand, mit meiner zweiten Hand bedeckt und erst einmal leicht meinen Kopf gesenkt. Erschüttert und getroffen! Du verstehst? Dann habe ich die Augen geschlossen und tief ein- und ausgeatmet. Erst ganz langsam tief ein. Und dann ausgeatmet. Erst ganz langsam tief ein. Und dann etwas schneller aus. Auf die Weise bekommst du deine Augen feucht. Das ist ein interessanter physiologischer Reflex.
    Und wirklich: Eine Träne ist unter meinen Wimpern hervorgerollt. Vielleicht auch, weil die Tusche in das Auge gestiegen ist und gebrannt hat. Egal. Ich bin also in Tränen aufgelöst vor ihm gesessen und habe einen magischen Moment lang geschwiegen … geatmet … und leise eine Träne verloren. Ich habe gespürt, wie der Druck seiner Hand daraufhin noch etwas fester geworden ist. In rührender Fürsorge natürlich. Dann, nach einem Moment, der im Film hundert Jahre gedauert hätte, habe ich den Kopf wieder gehoben. Ich habe ihn angeschaut und habe gefühlt, wie die Träne über meine Wange läuft.
    Die habe ich dann mit der freien Hand weggewischt und habe leise wie ein Windhauch »Ja« geflüstert. So gehört sich das! Grace Kelly wäre stolz auf mich. Er war so erschüttert von meiner Erschütterung, dass ich drauf und dran war, wirklich erschüttert zu sein. Er beugte sich vor und legte seinen Arm um mich und seine Stirne an meine Stirne.
    Du musst dir das vorstellen, Isabell! Wir hatten uns zu diesem Augenblick noch kein einziges Mal geküsst! Stell dir das vor! Du bekommst einen Heiratsantrag von einem blonden Helden, der dich noch kein einziges Mal geküsst hat. Oder nicht küssen will! Warum küsst er mich nicht wenigstens jetzt?! Ist mir in diesem Augenblick durch den Kopf geschossen!
    O mein Gott, er ist schwul. Dachte ich mir und war mir sicher, dass er schwul war und nur auf der Suche nach einer Alibi-Herzeige-Frau. Damit seine Geschäftsfreunde oder Arztfreunde ihn für einen tollen Hecht halten sollten. Herr Jesus Christus, hat es in mir geschrien. Jetzt bist du in die dümmste Falle des Universums geraten. Der will dich gar nicht als Frau. Der will dich nur als Möbel. Um seine perfekte Inszenierung seines perfekten bürgerlichen Lebens mit einer perfekten kleinen Ehefrau abzurunden. Wie komm ich aus dieser Nummer wieder raus?! Schrie es in mir, während wir Stirn an Stirn dasaßen und der Regionalzug nach Stuttgart aufgerufen wurde. Ich war gelähmt. Wirklich. Dieser Moment war so absurd und geschwisterlich, dass ich nichts wollte wie weg.
    So als hätte er meine Gedanken gelesen, fragte er mich im nächsten Moment: »Darf ich die Braut jetzt küssen?!«
    Dieser Mann war tatsächlich von der richtigen Insel an meinen Strand gespült worden, als ich seine Lippen

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