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Echtzeit

Titel: Echtzeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabriel Barylli
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herträgt, wenn man keine Chancen mehr sieht im Leben …
    Na gut. Aber letzten Endes ist doch alles, was wir tun, nur der Versuch, der einzige Versuch, Schmerzen zu vermeiden. Das ist alles. Das steht hinter dem meditierenden Mönch genauso wie dem betrunkenen Penner am Hauptbahnhof. Beide versuchen mit ihren Mitteln, Schmerzen zu vermeiden. Ich weiß, wovon ich rede. Ich kann sie sehr gut verstehen. Beide.
    Ich habe eine längere Zeit als Novizin hinter mir. Als buddhistische Novizin. Nur das mit dem Haar habe ich nicht über mich gebracht. Ich meine, das Nirwana wird ein Einsehen haben und ein gelocktes Weib wie mich in sich aufnehmen. Oder? Das waren meine Gedanken, als ich mich in die Stille begeben habe. Nachdem ich das Buch zu Ende gelesen hatte. Das Buch mit dem Basho-Gedicht vorne drin.
    Da stand zu lesen, dass eine der Hauptübungen im Zen das Sitzen in der Stille ist.
    »Coole Sache«, dachte ich mir – da muss ich nicht einmal spezielle Laufschuhe kaufen dafür. Und eine weite Mönchsrobe brauche ich auch nicht. Ich habe ja meine wunderbaren, weichen Frottebademäntel. Zwei Stück. Einen für mich und einen für Stefan. Ich hab sie immer noch. Beide. Ich hab es nicht übers Herz gebracht, sie wegzuwerfen. Erstens waren sie sehr teuer und nach den drei Monaten wie neu. Außerdem hatten sie Kapuzen. Das haben nicht alle Bademäntel. Das liebe ich. Das erinnert mich sehr an die Benediktinerkutten. Die haben auch Kapuzen. Eine tolle Erfindung. Nicht nur bei Regen. Nein.
    Die Benediktiner hatten eine wunderbare Kommunikationsvereinfachung erfunden! Wenn einer von ihnen im Kloster signalisieren wollte: »Hey, Brüder … ich bin gerade in der Stille … ich lebe, ich meditiere, ich döse… mit anderen Worten – redet mich nicht an!« Dann hat derjenige einfach seine Kapuze aufgestülpt. Jeder konnte somit schon von weitem erkennen: Aha – kein Gespräch möglich. Toll! Nicht wahr?
    Ich weiß das so genau, weil ich mich auch mal mit den Benediktinern beschäftigt habe – nach meiner buddhistischen Phase. Weil mir ihr Spruch so gefallen hat. »Ora et labora.« Bete und arbeite! Cool.
    Weil das ewige Nur-in-der-Stille-Sitzen ist ja auf die Dauer erst recht nicht das Wahre. Ich hab das ja wie gesagt ausprobiert. Ich hab mich in Stefans Bademantel gehüllt und zu Hause auf den Boden gesetzt. Und an die Wand geschaut. Lange. Sehr lange. Ohne mich zu bewegen. Ohne etwas zu tun. Ohne nichts. Gar nichts. Weißt du, wie schwer das ist?! Die ersten Minuten sind ja noch erträglich, aber den Rest der Zeit verbringt man damit, gegen die Langeweile zu kämpfen. Und dann gegen die Gedankenflut. Aber genau die will man ja mit dem »in der Stille sitzen« zum Schwingen bringen! Da beißt sich die Katze aber in den Schwanz. Weil ich genau durch diese forcierte Langeweile meine Phantasie provoziere, etwas gegen ebendiese Langeweile zu unternehmen. Also fährt das Gehirn die tollsten Filme ab. Gedankenbilder, die du nie anschauen würdest, sprudeln nur so heraus, als wäre dein Kopf ein Geysir in Island. So! Und genau diesen Prozess solltest du einbremsen. Bis sich das »Nichts« einstellt. Die Leere. Pervers eigentlich.
    Das wäre so, als würde ich in ein Pornokino gehen – als Mann – und meine Zeit damit verbringen, mit gebündelter Konzentration zu verhindern, dass ich einen Steifen kriege. Oder versuchen würde, den vorhandenen Steifen zum Verschwinden zu bringen. Da würde sich doch auch jeder fragen: Ist der gute Mann verrückt? Oder fehlgeleitet?
    Nein, bei den Verrücktheiten, die die Religionen von uns verlangen, sind wir milde gestimmt und zur Kritiklosigkeit kastriert. Nur weil das so ein beschauliches Bild abgibt, wenn ein Kahlkopf vor einem Haufen nasser Steine einschläft. Na gut. Ich hab das hinter mir. Ich hab es ernsthaft versucht. Weil ich gehofft habe, das Aufsuchen der Leere würde mein schmerzendes Herz beruhigen. Das Gegenteil war der Fall. Durch dieses beständige, nervtötende Betrachten meiner Zimmerwand hat mein schmerzendes Herz erst recht zu bluten begonnen. Ich habe in der Folge nur mehr an Stefan denken müssen. An seinen Geruch, an seine Umarmungen, seine Küsse, seine … an alles einfach.
    Ich gebe zu, dass es vielleicht etwas mutwillig war und voreilig, sich ausgerechnet in seinen Bademantel zu hüllen. Für meine Exerzitien. Aber wie auch immer. Am Bademantel kann es nicht gelegen haben, dass sich bei mir keinerlei entrücktes Lächeln einstellen wollte. So wie es die Buddhastatuen alle

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