Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Echtzeit

Titel: Echtzeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabriel Barylli
Vom Netzwerk:
daherkamst! Warum, Isabell? Warum? Du bist schön! Du bist sexy! Du bist klug! Du bist weltgewandt! Du bist eine Traumfrau! Du hättest jeden Mann der Welt haben können! Warum hast du mir meinen weggenommen? Warum? Warum gerade ihn? Warum, Isabell … Warum? Entschuldige … ich muss kurz aufhören … geh nicht weg, es ist nur … ich hol mir was zu trinken, dann können wir weiterreden. Geh nicht weg.

    Da bin ich wieder. Ja. Was sage ich jetzt? Entschuldigung? Okay: Entschuldige bitte die letzten Zeilen. Ich weiß auch nicht … das ist mir auf einmal alles so herausgeplatzt … weil … ich weiß auch nicht … weil es offenbar heraus musste … wieder mal. Es ist ja nicht das erste Mal, dass es herausplatzt … darum antwortest du ja auch nie … weil du spürst, dass ich es noch nicht ganz verarbeitet habe … aber … die Zeit heilt alle Wunden und eines Tages werden wir miteinander reden können wie alte – neue Freunde – Versprochen! Aber weißt du, ich bin guten Mutes, was die Zukunft angeht. Warum? Weil ich heute zum ersten Mal den Mut hatte, dir die Wahrheit zu sagen … zumindest einen Teil. Also das mit der Wohnung zum Beispiel. Ich hatte bis gestern nicht den Mut. Und das Tolle an E-Mails ist ja, dass der Empfänger nicht kontrollieren kann, von wo er sie erhält. Nicht wahr?! Wenn du wüsstest, dass ich jetzt, in diesem Augenblick in Wahrheit in Simbabwe sitze und … Kleiner Scherz! Nein, Isabell! In Wahrheit sitze ich in deiner Nachbarwohnung, gleich neben deinem Schlafzimmer und höre und sehe alles … alles!! Großer Scherz.
    Nein, die Wahrheit ist, dass ich damals mit allen Rädern aus allen Schienen gekippt bin und in diese Stadtrandwohnung ziehen musste. Ja, so ist das, wenn ein Lebensplan von einem Tag auf den anderen kollabiert.
    Und jetzt noch mal im Ernst. Das mit dem Kiesgarten, das habe ich schon ernst gemeint. So bin ich eben zur Buddhistin geworden. In dieser Nacht. Und darum übe ich es auch, nicht an hitzigen Gefühlen anzuhaften. Verstehst du jetzt, wie ich das gemeint habe? Ja? Das wäre eine große Freude für mich, wenn du das verstehen könntest. Und das mit Stefan eben … das habe ich nicht so gemeint … also schon so gemeint … aber ich will es nicht so meinen. Weißt du, das wäre mein niederes, egoistisches, anhaftendes Selbst, das da herausgebrochen ist … und sein Spielzeug wiederhaben wollte … Mein höheres Selbst sieht das alles ganz anders. Mein höheres Selbst sagt mir, dass wir alle nur irrende, strebende, blinde Wesen sind, die die Türe suchen, die ins Freie führt … und besitzen wollen und Bindung an einen Menschen sind nur Quellen unendlichen Leides. So wie Buddha sagt … verstehst du?
    Andererseits – wozu gibt es dann andere Menschen, fragt sich mein ganz normales menschliches Selbst hin und wieder. Das ganz normale menschliche Selbst lebt zwischen dem niederen Selbst und dem höheren Selbst, weißt du … das habe ich herausgefunden … in all der Zeit. Und die Wissenschaft hat festgestellt, dass der Mensch schwere neurologische Störungen bekommt, wenn er für lange Zeit normalen, menschlichen Umgang verliert.
    Und zu normalem, menschlichem Umgang gehört zum Beispiel auch, mit einem anderen Menschen zu reden. Ihn anzuschauen … ihn zu riechen, zu fühlen, zu hören, mit ihm Berührungen auszutauschen, ihn zu umarmen, mit ihm ins Bett zu gehen, mit ihm einzuschlafen, mit ihm aufzuwachen … ihn anzulächeln. All das ist menschlich, normal, gesund und gut.
    Es ist die schönste, höchste und kostbarste Religion … wenn man einen Menschen gefunden hat, mit dem das möglich ist. Wenn man in diesem Meer der Wahnsinnigen und Verrückten jemanden gefunden hat, bei dem man ein normales, gesundes, gottgewolltes Liebesleben führen kann, dann will man auch, dass das weitergeht. Ja? Dann will man den anderen nicht wieder verlieren. Ja? Dann will man ihn halten und pflegen und mit ihm weiterleben, so lange es nur geht. Ja? Dann will man verdammt noch mal »anhaften«. Weil man sein Glück gefunden hat.
    Wie ein Todeskandidat, der begnadigt wird und aus seiner Todeszelle heraus darf, in den Sonnenschein der Freiheit. So fühlt man sich dann. Und dann will man das normalste und gesündeste der Welt nicht wieder loslassen. Die Freiheit. Den Atem. Die Liebe. Das Leben. Dann muss man anhaften, verdammt noch mal. Weil man sonst kein Mensch wäre. Kein fühlendes Wesen. Alles andere ist Lüge. Alles andere ist eine verzweifelte Lüge, die man nur vor sich

Weitere Kostenlose Bücher