Ecstasy: Drei Romanzen mit chemischen Zusätzen (German Edition)
schon viele Male unternommen hatte. Wer an die Geschwindigkeit gewöhnt war, welche die Postchaisen boten, dem konnte eine Reise in einem von nur zwei Pferden gezogenen schwerfälligen, knarrenden Gefährt nur quälend langsam erscheinen. Daher war das, was für Lorraine ein großes Abenteuer bedeutete, für ihre Reisebegleiterin, Miss May, eine einzige Geduldsprobe– für die einzig der überlegene Komfort entschädigte.
Jedenfalls nahmen sie die exzellenten Erfrischungen, die ihnen an den meisten Zwischenstationen angeboten wurden, dankbar an, und die Betten in den Poststationen waren zumeistvon annehmbarer Qualität. Lorraine kam ein dreitägiger Aufenthalt in York sehr gelegen. Man legte ihn auf den Rat von Tam Greig ein, der bei einem der Pferde schwerste Ermüdungserscheinungen festgestellt hatte. So bezaubert von der Stadt war Lorraine, dass sie bettelte, man möge noch einen, nur einen weiteren Tag bleiben, aber der mürrische schottische Kutscher berichtete, die Pferde seien genügend ausgeruht, und Miss May hatte, wie immer, das letzte Wort.– Ich habe die Pflicht, Sie zu Lady Huntingdon zu bringen, liebes Mädchen. Es wurde zwar keine genaue Zeit für Ihre Ankunft genannt, aber ich würde meinen Pflichten doch alles andere als gewissenhaft nachkommen, ließe ich zeitraubende Besichtigungen an jedem interessanten Ort, den wir passieren, zu! Wer rastet, der rostet!
Und damit machten sie sich auf den Weg.
Der Rest der Reise verlief ereignislos, bis sie Grantham erreichten. Es hatte den größten Teil des Tages stark geregnet, als sie sich dem Gonerby Moor näherten, und die Lincolnshirelandschaft war aufgeweicht. Wie aus dem Nichts schoss plötzlich eine Postchaise mit Vierergespann in solchem Tempo vorbei, dass die sanfteren Pferde, welche die Kutsche zogen, darauf äußerst gereizt reagierten und das Gefährt in den Graben beförderten. Der Wagen kippte, und Miss May stieß sich den Kopf an.– Was …?
– Miss May, Lorraine hielt ihre Hand,– geht es Ihnen gut?
– Ja, ja, ja, Mädchen … ich glaubte schon, der Wagen würde sich überschlagen … was, um Himmels willen, ist geschehen?
Lorraine blickte aus dem Fenster und sah, wie Tam Greig seine Faust schüttelte und in einem gutturalen Schottisch, wie sie es noch nie gehört hatte, losfluchte.– Ihr Deibels, ihr! Euch dreh ich euren dreckjen englischen Hals rum!
– Mister Greig!, sagte Miss May scharf.
– ’zeihung, Ma’am, aber die Frechheit der Männer in der Kutsche lässt mir die Galle hochkommen. Offiziere waren’s auch noch. Offiziere, aber keine Gentlemen, wenn ich so sagen darf.
– Vielleicht waren sie in Eile, um eine Verabredung einzuhalten, sagte Miss May,– Wir sollten ebenfalls keine Zeit verlieren.
– Es tut mir leid, Ma’am, aber eins der Pferde lahmt. Wir müssen es in Grantham auswechseln, und ich würde sagen, es wird seine Zeit dauern, bis alles gerichtet ist.
– Na schön, seufzte Miss May,– Oh, Lorraine, wie bin ich dieser Reise überdrüssig!
Da das zweite Kutschpferd lahmte, brauchten sie bis Grantham länger als erwartet. Im Blue Inn war kein Zimmer zu bekommen, also sahen sie sich gezwungen, in einer weitaus weniger gediegenen Herberge abzusteigen. Beim Aussteigen aus der Kutsche fluchte Tam, der Kutscher, als er vier Offiziere, die Insassen jener Postchaise, die an ihrem Unbill schuld war, auf dem Weg zu einem Gasthof an ihnen vorbeischlendern sah.
Einer der Soldaten, ein dunkler, gut aussehender Kerl mit einem arroganten Zug um den Mund, grüßte Lorraine, indem er eine Augenbraue anzüglich hob, was sie die Augen niederschlagen und erröten ließ. Miss May bemerkte die Geste des Offiziers und nickte beifällig zu Lorraines Reaktion.
Der Zwischenstopp in Grantham hielt sie weitere zwei Tage auf, aber die letzte Etappe der Reise nach London verlief ereignislos, und sie erreichten das imposante Stadthaus von Earl Denby und Lady Huntingdon, Radcombe House in Kensington, in bester Stimmung.
Lorraine war von London überwältigt; die Größe und Ausdehnung der Stadt überstiegen alles, was sie sich je hatte vorstellen können. Lady Huntingdon, eine auffallend aparte Frau und sehr viel jünger aussehend als ihre sechsunddreißigJahre (denn Lorraines Mutter Flora war im selben Alter wie ihre Freundin), erwies sich als höchst liebenswürdige Gastgeberin. Außerdem hielt auch Miss May, die nur von Lady Huntingdon bei ihrem Vornamen, Amanda, gerufen wurde, bei Lorraines Einführung in die Gesellschaft ein
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