Ed Loy - 01 - Blut von meinem Blut
aneinander gebunden und an den Stahlringen der Träger befestigt waren. Sie schaukelten auf den Wellen, die an das Dock schwappten, und was immer sich darin befand, war von Planen verdeckt.
»Tommy? Tommy, ich bin’s, Ed. Ed Loy.«
Keine Antwort. Ich meinte, eine Art Klopfen oder Stampfen zu hören, aber das konnten auch nur die Wellen sein, die an die Bootskörper schlugen.
»Tommy?«
Diesmal war das Geräusch eindeutig: fünf gleichmäßige Klopfzeichen auf Holz, begleitet von einem leisen Stöhnen. Ich zog Hylands Boot heran, stieg hinein, machte das Seil los, richtete den Bug auf die Ruderboote aus und stieß mich vom Dock ab. Es waren nur wenige Meter. Ich zog den Kopf ein und hangelte mich mit den Händen zwischen den Stahlträgern hindurch, bis ich neben dem ersten Boot war. Ich hielt mich am Rand fest und hob die Plane. Ruder lagen darin und weiße Plastikkanister, die entweder Öl oder Wasser enthielten. Ich machte Hylands Boot an dem ersten Ruderboot fest, kletterte hinein, beugte mich vor und zog die anderen Planen weg. Im zweiten Boot befanden sich Rettungsringe und eine Angelausrüstung. Im dritten lag Tommy Owens. Die Hose hing ihm auf den Knien, er war geknebelt und an Händen und Füßen mit Stricken gefesselt, die an den Ruderhalterungen des Bootes befestigt waren. Ich nahm ihm den Knebel ab und schnitt die Fesseln mit Colm Hylands Messer durch. Er hatte Schnittwunden und blaue Flecken an den Oberschenkeln und an den Pobacken, sein Penis war blutverklebt, er hatte sich voll gemacht und stank nach Urin und Kot, der Knebel war mit Blut und Sperma verklebt. Als ich ihn losgemacht hatte, richtete er sich auf, lockerte seine Handgelenke, beugte sich über den Bootsrand und erbrach sich ins Meer. Dann ließ er sich auf der anderen Seite ins Wasser gleiten, tauchte komplett unter, kam wieder an die Oberfläche, hielt sich am Rand fest und paddelte mit den Beinen im Wasser. Er sagte nichts, und ich wusste nicht, was ich zu ihm sagen sollte, also schaute ich einfach hinaus auf die Bucht, wo gerade die Fähre aus Holyhead einlief. Als ich wieder zu Tommy hinsah, liefen ihm Tränen übers Gesicht. In Hylands Boot lag eine Wasserflasche. Ich reichte sie Tommy, und er trank, soviel er konnte, und schüttete sich den Rest über den Kopf. Er weinte jetzt heftiger, der Schock schien in tiefen, krampfhaften Schluchzern durch seinen Körper zu wandern.
Wir blieben eine ganze Weile so und wären sicher noch länger dort geblieben, wenn Colm Hyland nicht so einen harten Schädel gehabt hätte. Plötzlich war er da, klammerte sich an die Leiter, um zu sehen, wo sein Boot geblieben war. Ich hatte den Außenbordmotor nicht benutzt, weil ich keine Ahnung hatte, wie das ging, aber jetzt blieb mir keine andere Wahl. Ich suchte nach einem Schalter, den man umlegen, nach einer Schnur, an der man ziehen konnte. Hyland war schon im Wasser und schwamm die wenigen Meter auf uns zu, und mir wurde klar, dass dieser Motor wahrscheinlich mit einem Schlüssel gestartet wurde. Aber dann spielte das alles plötzlich keine Rolle mehr, denn Tommy Owens stand aufrecht im Ruderboot, ein Ruder in der Hand – Tommy Owens, von den Toten auferstanden, mit brennenden, blutdurstigen Augen. Er schlug Colm Hyland mit aller Kraft das Ruder an die Stirn, und ich musste dazwischengehen, um ihn davon abzuhalten, noch einmal zuzuschlagen. Hyland war schon vom ersten Hieb untergegangen. Als er auftauchte, war er bewusstlos, und ich musste ihn rasch am Kragen packen, damit er nicht wieder unterging. Tommy weigerte sich, mir zu helfen, aber ich wollte keinen weiteren Toten auf mein Gewissen laden, egal, was derjenige getan hatte. Also hielt ich Hyland fest, und schließlich packte Tommy doch mit an. Wir zogen Hyland in sein Boot und vertäuten es wieder. Er atmete noch. Ich brachte ihn nochmal in die Seitenlage, und Tommy fesselte ihn an Händen und Füßen und warf den Außenbordmotor ins Wasser. Dann ließen wir ihn dort am alten Fährdock im Dunkeln schlafen, den todbringenden Bootsmann der Halligans.
Zwanzig
Ich machte eins der Ruderboote los, manövrierte es unter dem Dock hervor und ruderte auf die Hafenmündung zu. Tommy saß achtern und ließ eine Hand ins Wasser hängen. Seine klatschnassen Kleider tropften, und die erste Brise seit Tagen pustete ihm das nasse Haar aus der Stirn.
»War alles klasse, bis gestern Abend«, sagte er plötzlich und stellte damit einmal mehr seine Fähigkeit unter Beweis, immer das zu sagen, was man am wenigsten
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