Ed Loy - 01 - Blut von meinem Blut
gesagt, wenn er mich nicht in Ruhe lässt, erzähl ich George, was er vorhat. Er behauptet, ihm ist egal, was George denkt, aber das ist ihm nicht egal. Man kann nur nie wissen, was Podge noch alles macht. Darum hab ich die Knarre mitgenommen, um was gegen ihn in der Hand zu haben.«
»Warum hast du mir das nicht gleich erzählt, Tommy?«
»Ich wollt’s dir halt nicht so leicht machen, Mann.«
Und Tommy grinste. Ein verlegenes Grinsen zwar, aber eindeutig ein Grinsen.
»Vielleicht wollt ich auch nicht, dass du weißt, wie tief ich bei den Halligans drinhänge.«
Das war nicht direkt eine Entschuldigung, aber es musste genügen.
»Jedenfalls war Podge gestern über irgendwas stinksauer, er ist reingestürmt und … und … hast ja gesehen, was er mit mir gemacht hat. Ich hab gedacht, er bringt mich um, wenn er fertig ist. Eigentlich hab ich mir das sogar gewünscht. Aber er hat gesagt, er hält mich in der Hinterhand. Falls du dich weiter einmischst.«
»Er wollte also drohen, dich umzubringen, um mich in Schach zu halten?«
»Ja. Dann hat er noch gesagt, er will mich auch dabehalten, weil … und dabei hat er sich den Reißverschluss zugemacht … weil er jetzt erst gemerkt hat, wie gern er mich hat«, sagte Tommy, und die Stimme versagte ihm fast. Er zitterte heftig, und der Atem rasselte ihm in der Brust.
Wir hatten die Seafront Plaza passiert, ich drehte das Boot und steuerte das Ufer an. Dort gab es ein altes Strandhaus, das früher einem Kanuverein gehört hatte, mit einem Stück Kiesstrand davor. Ich ruderte so nah wie möglich heran, dann wateten wir durch das seichte Wasser an Land.
Tommy blieb am Strand sitzen und warf Steinchen ins Wasser, und ich ging weiter zur Seafield Road. Ich musste an drei Damenboutiquen, einem edlen Feinkostladen, zwei Restaurants und einer Galerie vorbei, bis ich schließlich neben dem Mercedes-Händler einen Männermodeladen fand. Er verkaufte schicke Klamotten zu schicken Preisen, die Tommy Owens unter normalen Umständen nie im Leben angezogen hätte. Ich entschied mich für eine beigefarbene Hose, ein hellblaues Button-down-Hemd, einen blauen Blazer und ein Paar braune Turnschuhe. Als ich mich im Spiegel sah – das zerrissene Hosenbein, der von Salzwasser, Blut und Sand verschmierte Anzug, die durchweichten Schuhe –, erschrak ich. Der Verkäufer würde denken, ich kaufte die Sachen für mich. Der Verkäufer schien allerdings überhaupt nichts zu denken; seine Augen unter dem verwuschelten, strähnchendurchsetzten Haar lösten sich nicht eine Sekunde vom Display seines Handys, das in einem Irrsinnstempo eine SMS nach der anderen absonderte. Nur mein Geld war ihm einen Blick wert.
»Das zieh ich nicht an. Damit seh ich ja aus wie ’n Scheißbuchhalter auf ’ner Yacht«, ereiferte sich Tommy, als ich ihm die Tüten gab.
»Man nennt das Kleider, Tommy. Braucht man heutzutage. Ohne kommst du nicht auf die Fähre«, sagte ich.
Nachdem wir festgestellt hatten, dass unter den zahlreichen Dingen, die Tommy gern mit Podge Halligan angestellt hätte, keine Anzeige wegen Vergewaltigung war, einigten wir uns darauf, dass er die Fähre nach Holyhead nehmen und einfach eine Zeit lang verschwinden sollte. Er zog die neuen Klamotten an und schüttelte sich dabei, als hätte man ihn gezwungen, seine versifften Kleider noch einmal anzuziehen. Als er fertig war, fiel einem einiges zu ihm ein, nur nicht das Bild eines Buchhalters auf einer Yacht. Wir gingen am Strand entlang bis zum neuen Fährhafen. Wolken glitten wie Schaum über den Himmel. Der Wind wurde stärker und brachte einen Anflug von kühler Luft mit sich, ein erster, kleiner Hinweis darauf, dass der Sommer nicht ewig dauern würde. Ich kaufte eine Rückfahrkarte für Tommy und drückte ihm ein paar Scheine aus Barbara Dawsons braunem Umschlag in die Hand. Dann sah ich ihm nach, als er durch die Abfahrtshalle humpelte, und mir wurde klar, wie er eigentlich aussah: wie ein kleiner Junge, der zum ersten Mal Erwachsenenkleider anhatte. Sie standen ihm nicht, passten auch nicht richtig und hätten fast jeden Jungen so verwirrt und verloren aussehen lassen wie Tommy jetzt. Aber sie machten auch eine ganz klare Aussage: Das alte Leben war zu Ende, ein neues würde an seine Stelle treten. Vielleicht machte es nicht so viel Spaß wie das alte, vielleicht auch überhaupt keinen, aber es war unausweichlich. Jetzt passte es noch nicht richtig, aber irgendwann würde es das tun. Während ich noch diesen Gedanken nachhing, drehte
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