Ed Loy - 01 - Blut von meinem Blut
Versaufen verdienen. Aber das Rathaus war etwas anderes.«
»Warum? Weil Ihr Vater den Auftrag ganz seinem Bruder überlassen hat?«
»Ja. Und das war ihm gar nicht recht. Ich habe Ihnen ja schon erzählt, er ist depressiv geworden, nachdem ich durch die Prüfungen gefallen war und er seinen großen Traum aufgeben musste, dass ich Architekt werde. Aber das war nur der eine Grund. Der andere hing mit der Rathaussache zusammen. Er hat nie wieder mit Jack geredet, ist auf der Straße an ihm vorbeigegangen.«
»Was ist denn passiert? Hat Ihr Onkel ihn irgendwie erpresst?«
»Ich weiß es nicht. Es kann genauso gut an John Dawson gelegen haben. Dad ist einfach Knall auf Fall von Dawson Construction weggegangen, nachdem er jahrelang dort gearbeitet hatte. Er hat mir nicht gesagt, warum. Und ehrlich gesagt wollte ein Teil von mir das auch einfach vergessen, verstehen Sie? All dieser Mist von Brüdern, die sich zerstreiten und jahrelang nicht miteinander reden, das ist doch vorsintflutlich, echter altirischer Stammesscheiß. Zumindest habe ich das damals so gesehen. Dann, vor etwa einem Jahr, habe ich einen Anruf bekommen. Jack Dagg, total abgebrannt, nicht krankenversichert und ohne weitere Familie … Irgendwann hatte er mal Frau und Kinder in England, aber die hat er schon vor einer Ewigkeit sitzen lassen, ich habe keinen blassen Schimmer, wo sie stecken … der große Jack Dagg also hat Leukämie und bittet mich um Hilfe. Er braucht eine Schmerztherapie, ein Pflegeheim, alles Mögliche. Mein erster Impuls war zu sagen: Nicht mein Problem. Aber … es ist eben doch das gleiche Blut, verstehen Sie? Er hat ja sonst niemanden. Und er ist der Bruder meines Vaters. Da kann man nicht einfach wegschauen.«
»Haben Sie ihn gefragt, was damals im Rathaus passiert ist?«
»Ich hab’s versucht. Er hat gesagt, kein Mensch, der in Fagan’s Villas aufgewachsen sei, würde glauben, das Leben wäre einfach. Er hat gesagt, er habe immer dichtgehalten und würde jetzt nicht damit aufhören. Wenn mir das nicht passte, könnte ich ihn am Arsch lecken.«
»Und Sie haben ihm trotzdem geholfen?«
Dagg zuckte die Achseln. Es war ihm sichtlich unangenehm.
»Wie gesagt, er hat sonst niemanden. Und ein Teil von mir dachte vielleicht, er wird es mir irgendwann erzählen.«
»Warum musste Ihre Frau Sie dann dazu zwingen herzukommen?«
»Weil der größere Teil von mir dachte: Ich will das gar nicht wissen, soll der alte Schwachkopf doch sterben. Schluss mit der Vergangenheit. Weg mit Schaden.«
Ich nickte. Das zumindest konnte ich gut verstehen.
»Aber dann hat gestern Abend jemand aus dem Pflegeheim angerufen. Eine Schwester Ursula. Onkel Jack hat nur noch ein paar Tage zu leben. Er hat nicht nach mir gefragt, aber sie hat sich gedacht, ich will ihn vielleicht noch einmal sehen. Und dann hat Caroline losgelegt: Natürlich musst du das machen, nur so kannst du damit abschließen – die Nummer. Ich habe angefangen zu trinken. Aber sie hat nicht lockergelassen, dass ich nochmal mit Ihnen reden soll, dass ich nicht so viel trinken soll und so weiter. Irgendwann haben wir uns angebrüllt. Die Kinder haben es mitgekriegt und sich aufgeregt. Ich bin gegangen, habe noch mehr gesoffen, bin zurückgekommen, habe alle aufgeweckt, ein bisschen rumgebrüllt, ein paar Sachen zerdeppert, bin dann im Wohnzimmer zusammengebrochen. Schließlich haben alle geheult. Und jetzt bin ich Alkoholiker und werde mich zu einem Zwölf-Schritte-Programm anmelden, sonst kann ich gehen.«
Ich musterte ihn, den Alkoholschweiß auf seiner Stirn, die roten, entzündeten Augen, die immer noch zitternden Hände. Vielleicht hatte ich Caroline Daggs Ansicht zu schnell beiseite gewischt, weil mir ihre Art auf die Nerven ging, oder auch, weil ich nicht hören wollte, dass man gleich Alkoholiker ist, nur weil ein großer Teil des Lebens ohne Alkohol unerträglich wäre. Aber ich hatte jetzt keine Zeit, darüber nachzudenken.
»Fahren wir zu Ihrem Onkel«, sagte ich.
Dreiundzwanzig
Das St.-Bonaventura-Pflegeheim war in einer geräumigen Viktorianischen Backsteinvilla untergebracht, an einem ruhigen Platz im Westen von Seafield. Durch den neogotischen Baustil mit seinen Ecktürmchen, Buntglasfenstern und den kegelförmigen Türmen und Giebeln sah das Gebäude im Regen aus wie das Spukschloss aus einem Märchenbuch. Auf einem steinernen Fries über dem Eingang geleiteten Engel einen Dreimaster durchs sturmgepeitschte Meer. Schwester Ursula war eine knochige, lebhafte,
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