Ed Loy - 01 - Blut von meinem Blut
schaute mich weiter im Zimmer um. Fast alles hier wirkte, als hätte es seinem Vater gehört oder könnte ihm gehört haben. Und als sollte die Erinnerung an ihn wach gehalten werden. Dagg fläzte sich mit gelangweilter Miene in einem Sessel, Arme und Beine von sich gestreckt, die halb leere Bierflasche in der Faust. Von einer Sekunde auf die andere schien er sich vom verantwortungsvollen Familienvater in einen mürrischen Halbwüchsigen zurückzuverwandeln.
»Wie haben Sie sich denn mit Jim Kearney verstanden?«, fragte er mit ironischem Unterton.
»Er war ziemlich scharf darauf, sich Geld unter den Nagel zu reißen, das ihm nicht gehört. Aber dann hat er in letzter Sekunde doch noch die Nerven verloren.«
»Tut er sonst nicht. Aber der Bestechende muss ja immer auch was zu verlieren haben. Bestechung ist doch irgendwie wie Fremdgehen: Um Sicherheit zu haben, muss für beide Partner etwas auf dem Spiel stehen. Fragen Sie mal Caroline.«
»Caroline?«, fragte ich wie der letzte Trottel, obwohl ich eigentlich schon wusste, wer das sein musste.
»Meine Frau, Mr. Loy, meine so unglaublich viel bessere Hälfte, bis dass der Tod sich erbarmt, uns zu scheiden. Amen.«
Ich musste das Gespräch vorantreiben, bevor Dagg ganz im Alkohol abtauchte.
»Sie haben gesagt, Dawson hat das Rathaus gebaut«, sagte ich. »Wie haben Sie das herausgefunden?«
Dagg griff nach den Unterlagen, die er vorher zusammengeräumt hatte.
»Dad hat alles aufgehoben. Und ich habe nichts davon weggeschmissen, aus Gründen, auf die ich jetzt nicht näher eingehen möchte.«
Er blätterte einen Stapel Papiere durch und zog ein braunes Journal hervor.
»Es war der letzte Auftrag meines Vaters für Dawson. Das ist das Buch mit den Tagesberichten: wer gearbeitet hat, was getan wurde, welche Materialien verwendet wurden, sämtliche Ausgaben und seine Kommentare.«
In Daggs Stimme schwang ein gewisser Stolz mit.
»War das so üblich?«, fragte ich.
»Bei meinem Vater schon.«
»Halten Sie es für möglich, dass jemand einen Toten im Fundament des Gebäudes beerdigt hat, ohne dass Ihr Vater davon wusste?«
»Ich hätte das nie für möglich gehalten. Er war natürlich nicht vierundzwanzig Stunden am Tag dort, aber es gab ja noch den Sicherheitsdienst. Und selbst wenn sich jemand nachts eingeschlichen und das gemacht hätte, hätte er es am nächsten Morgen gemerkt und wäre der Sache nachgegangen. Er hätte das nicht so einfach unter den Tisch fallen lassen.«
»Nicht einmal als persönlichen Gefallen für John Dawson?«
»Nein. Er war ausgesprochen gewissenhaft. Er hat mich allein großgezogen, nachdem meine Mutter ihn verlassen hatte. Anfangs sah es finanziell nicht gerade rosig aus, und sie hatte keine Lust, sich mühevoll durchzuschlagen. Aber auch eine Mutter hätte sich nicht besser um mich kümmern können als er. Ich war immer gut angezogen, mir hat es an nichts gefehlt, er hat meine Hausaufgaben korrigiert und wusste immer ganz genau, was ich gerade in der Schule durchnahm. Ganz genau. Und wissen Sie, man konnte einfach nicht … Er hat nie lockergelassen. Wenn ich nicht nach Hause kam, obwohl wir etwas anderes vereinbart hatten, oder wenn ich mir bei einem Aufsatz nicht genug Mühe gab, hat er mich nicht mehr in Ruhe gelassen. Er hat mich ins Kreuzverhör genommen, bis er die Wahrheit wusste. So war er auch bei der Arbeit. Also … nein, nicht mal für John Dawson.«
»Warum war es sein letzter Auftrag?«
Dagg leerte die Bierflasche und seufzte.
»Weil ich zum zweiten Mal in Folge zu schlechte Noten hatte, um Architektur zu studieren. Stattdessen habe ich ein Ingenieursstudium angefangen. Und ich … das hört sich jetzt albern an, Mr. Loy, aber ich habe ihm damit das Herz gebrochen. Er hatte sich so gewünscht, dass ich Architekt werde. Etwas anderes gab es nicht … Er hat seine Arbeit aufgegeben und … im Grunde sein ganzes Leben. Er hat getrunken, nur noch herumgesessen und darauf gewartet, dass er stirbt. Und gestorben ist er … an gebrochenem Herzen.«
Dagg schüttelte den Kopf. Er hatte feuchte Augen bekommen. Ich verstand nun ein bisschen besser, warum er seinem Vater ein Museum eingerichtet hatte. Er ging zu einem Aktenschrank, holte eine Flasche Jameson heraus, goss sich einen ordentlichen Schluck ein und leerte das Glas in einem Zug. Als er wieder sprach, hatte er die Stimme eines Betrunkenen: mürrisch, lallend, verbittert.
»Klar hat ihn das fertig gemacht, verstehen Sie? Aber wir hätten das wieder
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