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Edelherb: Roman (German Edition)

Edelherb: Roman (German Edition)

Titel: Edelherb: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabrielle Zevin
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ich geschrien, aber ich wusste, dass in diesem Hospital Kranke lagen, die schlafen wollten. Wie war es möglich, dass ich keine andere Möglichkeit hatte, meinen Bruder zu erreichen, als über Yuji Ono? Ich hatte einem Mann zu viel Vertrauen geschenkt, den ich – nun mal ehrlich – eigentlich kaum kannte.
    Gerade wollte ich es wieder bei ihm versuchen, als Luna mir auf die Schulter klopfte. »Anya, Theo möchte dich gerne sehen.«
    Ich nickte und folgte ihr ins Krankenzimmer. Ungewollt wurde ich an Win und Gable erinnert. Wohin ich auch ging, ich brachte Gewalt mit.
    Theo hing an einem Beatmungsgerät. Trotz seiner braunen Haut wirkte er grau und blutleer. Aufgrund des Luftröhrenschnitts konnte er nicht sprechen, aber man hatte ihm einen Tablet ans Bett gelegt, auf dem er Botschaften verfassen konnte.
Anya,
schrieb er.
Ich liebe dich wie eine Schwester …
    Seine Handschrift auf dem Bildschirm war nur schwach zu erkennen.
    Ich liebe dich wie eine Schwester, aber du musst gehen. Der Mann, der das getan hat
 …
    Ich legte meine Hand auf seine. Ich wusste, was er schreiben wollte. »Der Mann, der das getan hat, kommt vielleicht zurück, um seine Aufgabe zu vollenden. Oder ein anderer Mann. Du liebst mich wie eine Schwester, aber du liebst deine Familie noch mehr. Sie ist nicht sicher, solange ich hier bin.«
    Er nickte elendig. Tränen standen ihm in den Augen.
    »Es tut mir so leid, Theo. Es tut mir so unendlich leid. Ich hole meine Sachen und reise noch heute ab.«
    Er griff nach meiner Hand und drückte sie.
Wo wirst du hingehen?
, schrieb er.
    »Nach Hause«, erwiderte ich. »Ich weiß nicht, ob ich überhaupt hierher hätte kommen sollen. Ich glaube, man kann nicht wirklich vor etwas davonlaufen. Es verfolgt einen doch immer.«
    Ich bin froh, dass du hier warst. Mi corazon es …
Der Tablet rutschte vom Bett, und bevor ich ihn auffangen konnte, fiel er zu Boden. Theo legte mir die Hand aufs Herz.
    »Ich weiß, Theo«, sagte ich. »Versprich mir, nicht mehr an mich zu denken. Ich möchte nur, dass du gesund wirst.«
    Luz blieb bei ihrem Sohn in der Klinik. Im Wagen unterhielt sich Luna kaum mit mir. Ich redete mir ein, sie sei müde.
    Als wir in Granja Mañana eintrafen, ging Luna in die Küche, um ihre Großmütter über Theos Zustand zu informieren, ich begab mich direkt auf mein Zimmer, um meine Sachen zu packen. Ich war mit so gut wie nichts nach Mexiko gekommen und verschwand nun mit einem fast leeren Rezeptbuch, einigen Briefen und einer Machete. Ich beschloss, die Briefe zu verbrennen. Noch wusste ich nicht, wie ich zurückreisen würde, und ich wollte keinen meiner Freunde in die Sache hineinziehen, sollte ich verhaftet werden. Ich ging hinunter in die Küche und bat um ein Streichholz. Es war nur noch Bisabuela da, die sagte, ich solle die Briefe einfach im Ofen verbrennen. Bei Wins Brief zögerte ich, doch dann schaffte ich es doch, ihn in die Flammen zu werfen. Imogens war der einzige, den ich zu behalten beschloss. Ich begann zu weinen.
    Bisabuela legte den Arm um mich. »Was ist denn,
bebé
?«, fragte sie. Sie sprach nicht gut Englisch, und mein Spanisch war immer noch nicht zufriedenstellend.
    »Ein Freund von mir ist tot«, sagte ich.
    »Theo ist nicht tot. Er ist verletzt, aber er wird überleben.« Ich sah die Verwirrung in ihrem Blick.
    »Nein, nicht Theo, jemand anders. Jemand von
mi casa
« – ich hielt inne –, »deshalb muss ich nach Hause gehen.«
    In dem Moment kam Luna in die Küche. »Anya, du kannst jetzt nicht gehen!«
    Ich wollte es ihr so gerne erklären. Wenn ich es ihr erklärte, wäre sie auch dafür, dass ich verschwand. Doch ich hatte Theo etwas anderes versprochen. »Ich muss gehen.«
    Luna verschränkte die Arme. »Wie kannst du ausgerechnet jetzt verschwinden? Du bist für uns wie ein Familienmitglied. Und solange Theo krank ist, könntest du uns so gut auf der Plantage helfen. Bitte, Anya!«
    Ich erzählte ihr, dass ich zu Hause angerufen hatte, als wir im Krankenhaus warteten, und dass jemand aus meiner Familie gestorben sei, weshalb ich sofort zurück nach New York müsse. Das war alles nicht gelogen.
    »Wer aus deiner Familie?«, wollte Luna wissen.
    »Die Frau, die auf meine Schwester aufgepasst hat.«
    »Dann ist es ja nicht mal ein richtiges Familienmitglied!«
    Ich schwieg.
    »Wenn du jetzt gehst, werde ich dir nie verzeihen! Und Theo auch nicht!«
    »Luna, Theo möchte auch, dass ich gehe.«
    »Was soll das heißen? Das würde er niemals sagen. Du lügst,

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