Edelsüß: Norma Tanns vierter Fall (German Edition)
zunächst war ich skeptisch, Angela erschien
mir so fremd. Oliver war nicht einverstanden, aber ich habe mich gegen meinen Sohn
durchgesetzt. Angela und ich sind uns schnell nähergekommen. Zum Schluss war sie
beinahe wie eine Tochter für mich.«
»Warum wollte
Angela unbedingt hier wohnen?«
»Angela
hing an ihrer Heimat. In dieser Straße ist sie aufgewachsen. Sie wollte einfach
nach Hause.«
»Und der
Zugang zum Weingut der eigenen Familie war ihr versperrt?«
Henriette
nickte bestätigend. »Onno Halvard hat das Bennefeld-Weingut weiterverkauft. Mit
dem derzeitigen Besitzer wollte Angela nichts zu tun haben. Obwohl er ein Kollege
beim Gericht war, auch ein Staatsanwalt.«
Norma kam
auf Angela zurück. »Warum diese, wie Sie gesagt hatten, Verleumdungskampagne gegen
Ihren Verwalter Harry? Was verband – oder trennte – die beiden?«
»Sie waren
einmal ein Liebespaar.«
»Angela
und Harry Halvard?«
»Ist lange
her«, sagte Henriette achselzuckend. »Angela ging noch zur Schule. Irgendwann schlug
die Liebe in Hass um. Das soll es ja geben.«
17
Nachdem Henriette Medzig das Haus
mitsamt dem Koffer verlassen hatte, nahm Norma den Rest des Kaffees, schnappte sich
die Kekse und trug beides nach oben. Nebenbei an den Keksen knabbernd, die nach
Hafer und Honig schmeckten, zupfte sie das Foto aus dem Umschlag. Hallo, Adam Dyzek!
Jetzt seid ihr schon zu dritt: Du, Harry und Veit. Ob es einen gegenwärtigen Partner
oder Liebhaber Angelas gab?
Sie hielt
am grauen Himmel nach den Störchen Ausschau und dachte über die Menschen nach, die
in einer Beziehung zu Angela gestanden hatten. Als sich kein Storch blicken ließ,
griff sie sich einen Stift und einen Stapel leerer Blätter, die bald übersät waren
mit Namen und Anmerkungen, Pfeilen und Kreisen. Darunter waren Adam Dyzek, der im
fernen Südafrika lebte, Ewald Medzig, der panschverdächtige Winzer, vor bald 30
Jahren im Taunus verschollen, sowie Karl Bennefeld, der nach Elisas Angaben ohne
Hilfe nicht aufstehen konnte. Sofern das alles zutraf, kam von den dreien keiner
als Täter infrage – ebenso wenig wie Elisa Bennefeld, ihre Auftraggeberin. Henriette
Medzig? Im Augenblick konnte Norma sich kein Motiv vorstellen; auch nicht für Ulf-Harald
Halvard. Die Glykol-Ermittlungen lagen eine Ewigkeit zurück, und der Betrug wäre
längst verjährt.
Anders Oliver
Medzig! Er verdiente es, dick unterstrichen zu werden. Angela hatte sich seinen
Plänen entgegengestellt, den Hof Adebar an einen zahlungskräftigen Investor zu verkaufen.
Damit gebührte ihm Platz eins auf der Liste der Verdächtigen, und er bekam ein dickes
Ausrufezeichen. Ein zweites schenkte sie dem Schauspieler Veit Lucas Wernhardt!
Ein Streit, ein Stoß im Affekt? Denkbar. Aber hätte Angela sich nicht gewehrt oder
geschrien? Sie musste unbedingt deren letzten Abend rekonstruieren, sich dafür jedoch
bis 17 Uhr gedulden.
Blieb der
Nachmittag für ihren Parallelfall. Sie rief beim Landeskriminalamt an und bekam
die Auskunft, Dr. Frywaldt sei den ganzen Tag im Haus. Am besten, sie fuhr direkt
hin, um dem Herrn Wissenschaftler die Gelegenheit zu vereiteln, sie am Telefon abzuwimmeln.
Sie wollte das Büro verlassen, wie sie es vorgefunden hatte, und räumte die Ordner
zurück in den Rollladenschrank. Als sie den Schlüssel unter die Schreibunterlage
legen wollte, bemerkte sie einen zweiten, der mit Klebeband auf deren Unterseite
befestigt war. Norma probierte ihn an einer verschlossenen Schublade aus. Treffer!
Doch der Inhalt gab Rätsel auf. Die Schublade war leer bis auf eine Schiebermütze
aus kariertem Tweed. Ohne Zweifel uralt, schmutzig und zu allem Überfluss zerrissen,
war sie eingewickelt in eine Seite des Wiesbadener Kuriers. Das Bemerkenswerteste
daran war eine goldene Anstecknadel, die eine Weinrebe im Lorbeerkranz darstellte.
Warum hatte Angela dieses Stück Müll so sorgsam eingeschlossen? Ausgerechnet einen
Tag vor ihrem Tod? Die Zeitung stammte vom Dienstag, den 12. Juli. Kurz entschlossen
wickelte Norma die Mütze samt dem abgetrennten Schirm und dem Anstecker wieder in
das Papier ein und nahm das Päckchen mit, als sie das Haus verließ.
Das Hessische
Landeskriminalamt war in der Hölderlinstraße angesiedelt und befand sich in der
Nachbarschaft des Polizeipräsidiums Westhessen. Norma kannte die Gebäude, zwei durch
ein transparentes Treppenhaus verbundene Hochhäuser, aus ihrer aktiven Polizeizeit.
In zehn Minuten war sie dort und ergatterte einen Besucherparkplatz. Die
Weitere Kostenlose Bücher