Edelsüß: Norma Tanns vierter Fall (German Edition)
ertrinkt nicht einfach so. Da gibt es zuverlässigere Methoden,
um sich umzubringen. Sie hat schließlich erlebt, was es bedeuten kann, wenn der
Suizid fehlschlägt.«
Er nickte
verstehend. »Ein Leben im Rollstuhl. Wer weiß, wie oft der Vater seinen Entschluss
verflucht hat.«
Er schwieg
und lüftete den Deckel der Teekanne.
Norma ließ
einen Augenblick verstreichen. »Es heißt, Angela hätte eine große Karriere vor sich
gehabt. Was ist schiefgegangen?«
Sein leises
Lächeln erinnerte sie an Wolfert, nur dass sich die Schneidezähne des Terriers weniger
in den Vordergrund spielten. »Was heißt schiefgelaufen? Eine Karriere lässt sich
nicht bis ins Detail planen. Angela war ehrgeizig, zugleich auch sehr emotional.
Zu emotional. Manche Probleme hat sie zu persönlich genommen. Und sie hatte einen
fatalen Hang zu Verschwörungstheorien.«
Der Kellner
trug ein Tablett heran und tauschte die Teekannen aus. Norma nahm die Kaffeetasse
entgegen.
»Von welchen
Verschwörungen ging Angela aus?«
»Zum Beispiel
unterstellte sie dem Leitenden Staatsanwalt Waldemar Jördens, die Ermittlungen gegen
einen dieser Weinpanscher aus Eigennutz eingestellt zu haben. Das war 1993.«
»Ich vermute,
der Weinpanscher heißt Ulf-Harald Halvard. Wie profitierte Jördens von der Einstellung
der Ermittlungen?«
Er warf
ihr über die Lesebrille hinweg einen wachsamen Blick zu. »Nach meiner Überzeugung
in keiner Weise. Jördens verhielt sich jovial und war bei den Kollegen beliebt.
Er wusste ein gutes Essen zu schätzen und lud später, als er sein eigenes Weingut
besaß, die gesamte Belegschaft regelmäßig zu opulenten Festen ein. Niemand hat sich
das entgehen lassen. Außer Angela.«
»Was hatte
sie gegen diese Feste einzuwenden?«
Kaan nahm
die Brille ab, ein zerbrechlich erscheinendes Gebilde aus dünnen Gläsern und filigranen
Bügeln, das er in einem Metalletui in Sicherheit brachte. »Der Ort passte ihr nicht.
Es war das ehemalige Bennefeld-Weingut, das inzwischen in Jördens’ Besitz war. Angela
vertrat die Theorie, Onno Halvard habe das Weingut für einen Spottpreis einem Strohmann
verkauft, der es wiederum zwei Jahre später für einen Dumpingpreis an Jördens verhökerte,
damit der die Ermittlungen gegen Ulf-Harald einstellte. Eine ungeheuerliche Behauptung,
die ihr sehr geschadet hat!«
»Können
Sie mir etwas über den angeblichen Strohmann sagen?«
Darüber
wisse er nichts, sagte der Staatsanwalt a. D. entschieden.
Norma zahlte
den Milchkaffee und bedankte sich bei Kaan. »Wussten Sie, dass Angela ihren Hund
nach lhnen benannt hat?«
»Tatsächlich?«,
wunderte er sich. »Das wusste ich nicht. Was für ein Hund ist es?«
»Ein Jack-Russell-Terrier.«
»Passt zu
ihr«, sagte er nur.
23
Nach dem Treffen im ›Café Maldaner‹
machte sich Norma auf den Weg ins Weingut Adebar. Lutz hatte den Architekten nach
Schierstein bestellt, um sich Klarheit darüber zu verschaffen, ob er an dem Objekt
weiter festhalten sollte; unabhängig davon, wie die Winzerwitwe sich letztendlich
entscheiden würde. Norma wollte dazukommen und die Gelegenheit nutzen, um mit Henriette
Medzig zu reden. Während sie stadtauswärts zum Rhein hinunterfuhr, dachte sie über
Angelas sogenannte Verschwörungstheorie und jenen Strohmann nach. Ein weiterer Unbekannter,
der sich zu dem Knochenmann und dem dritten Gast an Angelas Tisch gesellte.
Die Tür
zum Haupthaus stand offen. Norma klopfte an den Rahmen. Der junge Makler nahm sie
in Empfang. Wieder trug er den grauen Anzug mit der roten Krawatte, seine Berufsuniform.
Philipp Faber führte sie zu Lutz und Henriette Medzig, die in der Diele mit einem
bescheiden wirkenden älteren Herrn beisammenstanden. Lutz machte sie mit dem Architekten
bekannt, der anschließend seinen Kennerblick über Wände und Decken gleiten ließ,
hier und da gegen das Mauerwerk klopfte und jeden Fensterflügel pingelig unter die
Lupe nahm. Im Gänsemarsch flanierte das Grüppchen durch das Erdgeschoss. Die Hausherrin
verlor mit jedem Zimmer, das sie hinter sich ließen, an Farbe. Zurück in der Diele,
hielt sie sich mit beiden Händen am Treppenpfosten fest.
Lutz beobachtete
sie besorgt. »Um Himmels willen, Frau Medzig, ist Ihnen nicht gut? Wenn ich Sie
mit meinem Besuch aufgeregt habe … Ich hätte nicht kommen dürfen, nicht heute. Wo
doch morgen die Trauerfeier für Ihre Nachbarin ist.« Er schaute zerknirscht und
hielt sich vermutlich für sträflich unsensibel.
Langsam
löste Henriette Medzig eine Hand
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