Edelsüß: Norma Tanns vierter Fall (German Edition)
gemacht.
Nur so zum Vergnügen.« Sie lächelte versonnen.
»Das ist
die Waffe? Ich kenne die Marke nicht. Darf ich ein Foto davon machen?«
»Wie Sie
meinen. Aber womit?«
Norma lächelte.
»Mit der Kamera im Handy.«
»Ach, das
ist kein richtiges Fotografieren!«
Norma brachte
das Mobiltelefon in Position. »Ich brauche das Bild nur als Gedächtnisstütze. Aus
rein beruflichem Interesse. Ich bin keine Waffennärrin, falls Sie das denken.«
Zusätzlich
zur Pistole fotografierte sie den Abschiedsbrief. Danach fragte sie, wo Oliver an
Angelas letztem Abend gewesen sei. Sie hatte die Frage behutsam formuliert, aber
Henriette schien in jedem Fall alarmiert.
»Sie verdächtigen
meinen Sohn?«
Norma nannte
ihre Gründe. »Angela sprach im Restaurant mit drei Männern. Zwei sind mir bekannt,
der dritte leider nicht. Ich muss herausfinden, wer das war. Ihrem Sohn könnte der
Mann aufgefallen sein.«
Dadurch
beschwichtigt erklärte Henriette, Oliver sei keinesfalls am Hafen gewesen. Er habe
den ganzen Abend ferngesehen. »Es gab Fußball. Deutschland gegen Italien. Oliver
hat bei jedem Tor mitgebrüllt. Ich hab’s bis in die Küche gehört. Wer waren die
anderen Männer?«
Norma legte
das Foto zurück und schlug die Mappe zu. »Der eine war der Schauspieler Veit Lucas
Wernhardt. Er hält sich zum Drehen in Wiesbaden auf.«
Darüber
habe sie in der Zeitung gelesen, antwortete Henriette. »Oliver kann ihn nicht ausstehen,
aber ich lasse keine Folge aus. Ein schöner Mann! Wie mag Angela mit ihm ins Gespräch
gekommen sein?«
»Soweit
ich weiß, hat er sie angesprochen. Sie waren einmal für kurze Zeit ein Paar.«
»Tatsächlich?
Davon hat sie mir nie etwas erzählt.«
»Es ist
lange her, aber Wernhardt wollte sein Glück noch einmal versuchen. Angela hat ihm
offenbar deutlich gesagt, dass es keine zweite Chance gibt.«
»Ja, stur
konnte sie sein. Wer war der andere Mann?«
»Ulf-Harald
Halvard, der Weinpapst.«
Henriette
zuckte zusammen. »Harry? Tatsächlich? Er und Angela sind wie Hund und Katze; sie
gehen sich aus dem Weg, wo nur möglich. Was mag er von ihr gewollt haben?«
»Nun, er
behauptet, Angela habe ihn angerufen. Sie habe wissen wollen, ob es stimmt, dass
er das Weingut Adebar kaufen will.«
»Wie bitte?
Harry will hier einsteigen? Davon hat er mir nichts gesagt.«
»Er sagt,
das sei nur ein Gerücht. Frau Medzig, was ist mit Ihnen?«
Henriettes
Unterlippe zitterte. »Entschuldigen Sie bitte meine Aufregung. Angelas Tod! Der
Hausverkauf! Alles ein bisschen viel für eine alte Frau. Könnten Sie mir bitte ein
Taschentuch geben? In der Tischschublade müsste ein Päckchen sein.«
Norma langte
unter der Tischplatte nach der Schublade und grub in dem Sammelsurium aus Kochlöffeln,
Einweckgummis und anderen Küchenhelfern des vergangenen Jahrhunderts. Reste eines
Kochbuchs fielen ihr in die Hände, aber keine Papiertaschentücher. »Tut mir leid!
Hier finde ich nichts.«
Sie wolle
sowieso ins Bad. Henriette erhob sich unsicher. Norma hielt es für besser, die alte
Dame über den Flur zu begleiten, und kehrte in die Küche zurück. Die Tür ließ sie
offen, falls Henriette nach ihr rufen sollte. Als sie die Mappe in den Schrank zurücklegte,
fiel ihr ein quadratisches Büchlein in die Hände. Ein Poesiealbum, anrührend altmodisch.
Die einst verschließbare Lasche war durchgerissen. Norma konnte nicht widerstehen
und schaute sich die vergilbten Seiten an, von denen die meisten unbeschrieben geblieben
waren, als hätte die junge Henriette nicht viele Freundinnen gehabt, die sie um
einen Spruch bitten konnte. Beim Blättern rutschte ein Schwarz-Weiß-Foto heraus.
Das Format glich dem des Pistolenbilds. Ein Junge in kurzer Lederhose und kariertem
Hemd spielte in einem Sandkasten. Das Haus im Hintergrund war ein Flachdachbungalow,
offenbar ein Neubau. Den Büschen und Bäumchen im Garten blieb viel Raum zum Wachsen.
Norma schätzte das Kind auf drei Jahre. Sie verstand allerdings zu wenig von Kindern,
um sich sicher zu sein. Den Fingerabdrücken und verknickten Ecken nach zu urteilen,
war das Foto häufig in die Hand genommen worden. Auf die Rückseite war mit spitzem
Bleistift die Jahreszahl 1963 notiert. Das Kindergesicht kam ihr vage bekannt vor.
Oliver konnte es nicht sein. Er wurde 1968 geboren, wie Henriette vorhin erwähnt
hatte.
Sie legte
das Foto auf den Tisch und machte auch davon eine Aufnahme mit der Handykamera.
Plötzlich
stand Henriette hinter ihr. Sie schaute verärgert. »Was
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