Edelsüß: Norma Tanns vierter Fall (German Edition)
diskutiert.«
Tonja Pollay
schüttelte ihre volle Haarpracht. »Harry Halvard, der alte Spitzbube. Er gehörte
zu den verdächtigen Weinpanschern, gegen die Angela in den 90er-Jahren ermittelte.«
»Gemeinsam
mit Staatsanwalt Kay Kaan«, ergänzte Norma.
Tonja Pollay
begann, die Ringe an ihren Fingern zu drehen, als verfolgte sie dabei ein System.
Sie bemerkte Normas verwunderten Blick. »Ist besser als Rauchen! Warum auch immer,
es schärft meine Konzentration.«
Ihr ausgezeichnetes
Gedächtnis für Fakten und Zahlen, meinte die Journalistin selbstbewusst, sei ihr
in den Zeiten vor Internet und Handy sehr nützlich gewesen. Angelas Ermittlungen
in Sachen Weinpanscherei habe sie von Anfang an journalistisch begleitet und der
Referendarin, dank ihrer Kontakte in die Politik, nützliche Informationen zuspielen
können, die Angela an ihren zeitweiligen Chef und Mäzen Kay Kaan weitergeleitet
hätte.
»Es war
eine ungeheuer spannende Zeit für uns Journalisten. Und ein Martyrium für ehrbare
Juristen wie Angela und Kaan, die sich für Recht und Ordnung engagierten und erfahren
mussten, wie wenig sie den Verquickungen zwischen Weinwirtschaft und Politik entgegenzusetzen
hatten. Mehr noch als hier in Wiesbaden ging es auf der Mainzer Seite zur Sache.«
»Verquickungen
welcher Art?«
Die Journalistin
lächelte bitter. »Bis nach ganz oben, Kindchen, bis rauf in die rheinland-pfälzischen
Ministerränge. Der Giftpunsch wurde im großen Stil unter die Leute gebracht. Daran
haben sich zu viele der Großkopferten eine goldene Nase verdient, als dass sie ihren
Korruptionssumpf kampflos trockenlegen lassen wollten. Drüben in Mainz begannen
die Prozesse 1990, und alles verlief unglaublich zäh. Aus den Reihen der Landespolitik
wurde blockiert und ausgebremst, das können Sie sich nicht vorstellen, Kindchen!
Auf 5.000 Stück wuchsen die Ermittlungsakten an, obwohl die beteiligten Justizbehörden
chronisch unterbesetzt waren. Als diese Ausdünnung nicht half, bekamen die Staatsanwälte
Maulkörbe verpasst. Ein unglaublicher Politskandal! Nach acht Jahren wurden die
Verfahren eingestellt. Man sagt, der Glykolskandal habe die deutsche Weinwirtschaft
mehr als eine Milliarde DM gekostet. Bis in die späten 1990er-Jahre war mancher
Weinhändler sogar stolz darauf, wenn er keine deutschen Weine im Sortiment führte.«
Ein junger
Mann brachte die Getränke. Der Milchkaffee schmeckte belebend und war heiß und stark.
Norma fasste
das Gehörte zusammen. »Diese Prozesse fanden auf der anderen Rheinseite in Rheinland-Pfalz
statt. Kaan und Angela waren für die hessische Justiz tätig. Gegen Harry Halvard
wurde in Wiesbaden ermittelt. Was können Sie mir über ihn erzählen?«
Sie musste
sich ranhalten, um Tonjas Redeschwall zu folgen, und schrieb in Stichwörtern mit.
Es bestätigten sich einige der Informationen, die sie von Henriette Medzig erfahren
hatte. 1960 geboren, wird Harry früh zur Halbwaise, gilt als hochintelligenter,
aber sich allem verweigernder Schüler, fliegt vom Gymnasium, beginnt eine Winzerlehre
im Schiersteiner Weingut Medzig, fängt Feuer für den Weinbau, übernimmt dort immer
mehr Aufgaben, modernisiert den Betrieb, lässt sich 1985 den Namen ›Weingut Adebar‹
einfallen.
Norma hielt
im Schreiben inne. »Aus welchem Grund? ›Weingut Medzig‹ klingt doch solide.«
»Ein romantischer
Name gehörte zum Konzept der Weinmafia«, erklärte Tonja Pollay mit verächtlichem
Lächeln. »Damit wollte man neue Käuferschichten gewinnen. Gern wurde die Fantasie
bemüht und ein Grafentitel oder etwas mit ›Burg‹ drin erfunden. Zum Schaden der
wahrhaftigen adligen Winzer, die zum Teil seit Jahrhunderten im Rheingau ansässig
sind. ›Adebar‹ gehörte zu den vergleichsweise harmlosen Wortschöpfungen. Nach der
Lehre wurde Harry Halvard der Geschäftsführer des Weinguts.«
»Wissen
Sie etwas über Ewald Medzigs Krankheit?«
»Da muss
ich leider passen«, bedauerte Tonja Pollay.
Im Spätsommer
1985, berichtete sie weiter, habe ein chemisches Institut eine Spätlese des Weinguts
Adebar untersucht. Das Ergebnis waren 0,2 Gramm Diethylenglykol pro Flasche. »Wer
eine solche Flasche getrunken hätte, wäre kaum ernsthaft erkrankt, vom dicken Kopf
abgesehen. Betrug war es allemal. Medzig wollte sich damit herausreden, er hätte
seine Fässer im Frühjahr mit österreichischem Wein aufgefüllt, ohne von dem Glykol
darin zu wissen.«
In der Tat
hätten die hessischen Weinkontrolleure in Medzigs Keller kein Glykol
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