Edelsüß: Norma Tanns vierter Fall (German Edition)
Oliver? Besser keine Zeit verlieren. Sie linste
hinein ins Schlafzimmer, in eine Rumpelkammer und in den Wohnraum. Zwei Türen führten
in Küche und WC, und durch die letzte Tür am Ende des Flurs gelangte sie in das
Badezimmer, in einen langen, schmalen Raum mit einer Wanne. Ein abgegriffener Duschvorhang
schirmte die Ecke dahinter ab. An die Wand gegenüber reihten sich Waschbecken, Waschmaschine
und Trockner. Durch die offene Tür hörte Norma, wie unten die Haustür ins Schloss
fiel. Schwere Schritte polterten durch die Diele. Erklommen die Stufen. Gleich wäre
er oben. Ihre einzige Chance war die Dusche. Als sich plötzlich der Vorhang auftat,
erkannte sie das Klingeln wieder, mit dem die Ringe aneinanderschlugen. Zu spät.
Zwei starke Arme langten nach ihr, packten sie, verschlossen ihr den Mund und zogen
sie in das Versteck hinein.
38
Der Angreifer stand in ihrem Rücken
und hielt sie eisern umschlungen. Ihr Blick war zwangsweise auf den speckigen Duschvorhang
gerichtet, während sich die Hand fest um ihrem Mund schloss. Durch die Nase rang
sie nach Luft, und das bisschen Atem stockte ihr, als die Polterschritte das Bad
erreichten. Eine nörgelnde Männerstimme empörte sich über die Mutter, die herumgeschnüffelt
und die Tür offengelassen habe. Norma musste sich zügeln, um nicht hinter sich zu
treten. Mit Oliver Medzig nebenan empfahl es sich, stillzuhalten. Was, wenn er duschen
wollte? Stattdessen machte er sich am Waschbecken zu schaffen. Ein Wasserhahn wurde
aufgedreht. Das Planschen und Grunzen ließ darauf schließen, dass er sich Hände
und Gesicht wusch. Endlich hörte das Plätschern auf. Wieder die Schritte im Flur,
auf der Treppe und schließlich das Zuschnappen der Haustür. Der Griff um Norma lockerte
sich, bis sie sich herauswinden und dem Angreifer ins Gesicht sehen konnte.
Timon hob
entschuldigend die Arme und flüsterte: »Verzeih mir den Angriff! Für Erklärungen
blieb keine Zeit. Als ich hörte, dass jemand kommt, bin ich rasch hinter den Vorhang.
Im Falle einer Ohnmacht hätte ich dich aufgefangen.«
Norma wusste
nicht, ob sie fuchsteufelswild sein sollte oder heilfroh. »Keine Sorge! Wenn es
darauf ankommt, halte ich mich auf den Beinen. Was um Himmels willen tust du hier?«
Mit triumphierender
Miene zog er eine Plastiktüte aus der Hosentasche. »Bald wissen wir, ob der Knochenmann
Medzigs Vater ist. Der Schmutz aus dem Rasierer. Jede Menge Hautzellen für die DNA-Analyse.«
»Du bist
mir zuvorgekommen! Was macht dich zum Einbrecher?«
Er grinste
abenteuerlustig. »Eine unverschlossene Haustür.«
»Meinst
du nicht, dass du mit deinem beruflichen Ehrgeiz übertreibst?«
»Damit bin
ich in guter Gesellschaft«, gab er flüsternd zurück.
»Mit einem
feinen Unterschied: Mich kann man nicht mehr rauswerfen!«
Vorsichtig
schob sie den Vorhang zur Seite.
Timon hielt
sie zurück. »Warte! Ich muss dir etwas Wichtiges sagen.«
»Bitte jetzt
keine Liebeserklärung.«
»Die hebe
ich mir für später auf. Etwas anderes …«
»Raus damit,
ich muss runter. Henriette wird sich schon wundern.«
»Das Skelett!
Ich weiß jetzt, wie der Mann umgekommen ist.«
»Nun sag
schon!«
Timon horchte.
Alles schien ruhig. »Der Mann wurde erschossen. Drei Schüsse haben die Rippen gestreift
und durchschlagen. Eine Kugel ist im Brustbein stecken geblieben.«
»Also kein
Selbstmord!«
»Mit vier
Schüssen in die Herzgegend? Das müsste ein harten Hund gewesen sein.«
»Konntest
du das Kaliber feststellen? Ewalds Wehrmachtspistole hatte das Kaliber 9 mm.«
»Dürfte
hinkommen. Ich fahre ins Labor und bestimme so schnell wie möglich die DNA. Wenn
sich die Verwandtschaft bestätigt, werden Milano und Wolfert das Haus und den Weinkeller
auf den Kopf stellen. Lenkst du Frau Medzig ab, damit ich ungesehen herauskomme?«
»Verdient
hat du es nicht nach dem Schrecken, den du mir eingejagt hast.«
Er blinzelte
ungerührt. »Wir sehen uns später.«
Sie schlich
die Treppe hinunter und ließ leichtfüßig die Diele hinter sich.
In der Küche
legte Henriette soeben den Hörer auf. Auf ihren Wangen glühten rote Flecken.
Aufgeregt
entschuldigte sie sich. »Ich habe Sie warten lassen. Ihr Schwiegervater ist ein
hartnäckiger Mann.«
Norma setzte
sich zu ihr an den Tisch. Während sie Tee tranken, beruhigte sich Henriette. Später
verabschiedete sie sich an der Haustür mit einer Bitte: »Richten Sie Herrn Tann
aus, er soll mich nicht mehr anrufen. Das Riesenweinfass, das er unbedingt für
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