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Edelweißpiraten

Edelweißpiraten

Titel: Edelweißpiraten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dirk Reinhardt
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mit mir gesprochen hätte, wäre mir spätestens jetzt klargeworden, wie es um ihn stand. Er konnte nicht mehr aufstehen, sein Gesicht war blass und eingefallen. Sein Atem ging schwer, und wenn er etwas sagte, sprach er so leise, dass ich ihn kaum verstehen konnte.
    Deshalb saß ich die meiste Zeit stumm an seinem Bett. Von Zeit zu Zeit schlief er ein. Wenn er die Augen wieder aufschlug, suchte er nach mir, und sobald er mich erkannte, wirkte er beruhigt. Viele Stunden war ich bei ihm an jenem Tag. Er lag inzwischen allein auf dem Zimmer, die beiden anderen Männer waren woanders untergebracht. Nur ab und zu kam eine der Krankenschwestern herein, ansonsten waren wir ungestört.
    Als es draußen dunkel wurde, war es Zeit für mich zu gehen. Ich beugte mich zu ihm, um mich zu verabschieden und ihm zu sagen, dass ich am nächsten Tag wiederkommen würde. Er sah mich an und nickte, aber in seinen Augen war ein Ausdruck, der mich zurückhielt. Ich zögerte, und dann musste ich plötzlich daran denken, was die Schwester gesagt hatte: dass ihn in all der Zeit hier im Krankenhaus außer mir niemand besucht hatte.
    Ich zog den Stuhl wieder heran und setzte mich. »Sagen Sie – was ist eigentlich aus Ihnen und Tom geworden?«,fragte ich ihn. »Sie waren doch so eng befreundet – und jetzt sprechen Sie nie von ihm. Was ist passiert nach dem Krieg?«
    »Ach, er ist fortgezogen«, flüsterte er. »Nach Süddeutschland. Flocke hatte Verwandte dort. Auf dem Land. Da war die Not nicht so groß.«
    »Aber Sie hatten doch weiter Kontakt zu ihm?«
    »Wir haben uns geschrieben. Er und Flocke haben geheiratet und Kinder bekommen. Dann ist es weniger geworden. Weihnachts- und Geburtstagskarten. Irgendwann hat das auch aufgehört. Ein neues Leben – und man will an das alte nicht erinnert werden.«
    Ich stand auf und wollte endgültig gehen, aber er winkte mich noch einmal zu sich.
    »So etwas wie mit Tilly«, sagte er, »passiert einem nur einmal. Wenn man Glück hat! Vielen passiert es nie. Und so einen wie Flint trifft man auch nur einmal.«
    Er sank in sein Kissen und seufzte.
    »Und ich war sogar sein Freund!«
    Plötzlich streckte er mir die Hand entgegen. Ich nahm sie und drückte sie. Es war das erste und zugleich letzte Mal, dass wir uns berührten.
    »Siehst du, Daniel: Es gibt nichts, worüber ich mich beschweren kann.«
    Ich wollte noch etwas sagen. Aber als ich ihn ansah, schlief er bereits wieder.

25. Januar 1945
    In den letzten Tagen hab ich vollkommen verzweifelt in der Hütte gelegen, mich einfach nur traurig gefühlt und mir tausend Vorwürfe gemacht. Tom und Flocke haben versucht, mit mir zu reden, aber ich wollte nicht. Alles ist mir sinnlos vorgekommen – jetzt, wo Tilly nicht mehr da ist.
    Erst heute hab ich’s geschafft, mich aufzuraffen. Die Verzweiflung ist noch immer da, aber jetzt ist ’ne abgrundtiefe Wut dazugekommen. Ich bin zu Flint gegangen, der mit Kralle draußen vor der Hütte war.
    »Gib mir deine Pistole!«, hab ich zu ihm gesagt.
    Er hat mich total entgeistert angesehen. »Hey, Gerle – findest du nicht, du solltest –«
    »Nein. Lass das Gerede und gib sie mir!«
    Ich hab ihm die Waffe mehr aus der Tasche gezerrt als sonst was. Dann bin ich los. Quer durch Ehrenfeld, die Venloer entlang, am hellen Tag. Es war mir scheißegal, ob mich einer sieht, der mich nicht sehen darf, oder ob sonst was passiert. Ich
wollte
sogar, dass was passiert. Dass mir einer ’n Vorwand gibt.
    Ungefähr auf der Höhe vom Stadtpark sind mir zwei SS-Leute entgegengekommen. Ich bin ihnen nicht ausgewichen oder vor ihnen weggerannt wie sonst immer, sondern extra auf sie zu und mitten zwischen ihnen durch. Den einen hab ich so angerempelt, dass er das Gleichgewicht verloren hat und gegen die Mauer geflogen ist. Dann bin ich weitergegangen.
    Sie haben hinter mir hergebrüllt, ich soll stehenbleiben und ihnen meine Papiere zeigen. Ich hab mich umgedreht und gesagt, meine Papiere gehen sie ’n feuchten Scheißdreck an. Dabei hab ich die Hand in die Tasche geschoben – dahin, wo die Waffe war. Ich war fest entschlossen, auf sie zu schießen, wenn sie nur eine falsche Bewegung machen.
    Aber irgendwas muss sie davon abgehalten haben, mit mir so umzuspringen, wie sie’s normalerweise tun. Sie haben gezögert, dann hat der eine den anderen, der gegen die Mauer geknallt war, angestoßen.
    »Komm, lass den Kleinen«, hat er gesagt. »Der lohnt die Mühe nicht. An der Front machen sie ihn früh genug ’n Kopf kürzer.«
    Sie

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