Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Edgar Allan Poe - Das gesamte Werk

Edgar Allan Poe - Das gesamte Werk

Titel: Edgar Allan Poe - Das gesamte Werk Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edgar Allan Poe
Vom Netzwerk:
Holzpfähle, die in das Erdreich getrieben waren. Dort hatte das Gestein nicht nachgegeben; aber längs der Wand, von der die Masse herabgerutscht war, zeigten Vertiefungen, ähnlich denen, die nach einer Felsensprengung sichtbar sind, daß solche Pfähle, wie wir sie drüben noch erblickten, mit je einer Elle Zwischenraum und etwa zehn Fuß vom Rande der Schlucht entfernt, auf eine Strecke von fast dreihundert Fuß eingepflanzt worden waren. Starke Seile aus Weinreben hingen an den noch vorhandenen Pflöcken, und es wurde uns klar, daß sie sämtlich mit solchen Stricken versehen gewesen waren. Ich erwähnte schon die eigentümliche Schichtung dieser Specksteinberge; meine Schilderung der engen und tiefen Spalte, durch die wir den Schrecken des Lebendigbegrabenseins entrannen, wird eine deutlichere Vorstellung dieser Schichtung erweckt haben. Jede Erschütterung mußte den Boden in senkrechte, nebeneinander laufende Schichten zerspalten, es gehörte nicht viel Kunst dazu, diese Wirkung hervorzubringen. Ohne Zweifel hatten die Wilden ihren verräterischen Zweck erreicht, indem sie durch die lange Reihe der Pfähle das Erdreich teilweise spalteten, wahrscheinlich bis zur Tiefe von ein oder zwei Fuß, und dann mit aller Kraft an den Stricken zogen; so wurde ein furchtbarer Hebel hergestellt, der auf ein gegebenes Zeichen den ganzen Abhang auf den Grund der Klamm hinabzuwälzen imstande war. Das Los unserer armen Gefährten konnte nur vollständiger Untergang gewesen sein. Wir allein waren dem Ansturm dieser überwältigenden Vernichtung entgangen. Wir blieben jetzt die einzigen Weißen auf der Insel.
    Zweiundzwanzigstes Kapitel
    Unsere Lage war kaum weniger entsetzlich als im Augenblick, wo wir uns für immer verschüttet wähnten. Es blieb uns keine andre Aussicht als der Tod durch die Hände der Wilden oder ein jammervolles Leben in der Gefangenschaft. Gewiß konnten wir uns eine Zeitlang im Schutz der Berge vor ihnen versteckt halten oder eine letzte Zuflucht in der eben verlassenen Spalte finden; aber entweder würden wir während des langen Polarwinters der Kälte, dem Hunger erliegen, oder unsre Versuche, uns Nahrung zu verschaffen, würden schließlich zu unsrer Entdeckung führen.
    Die ganze Gegend wimmelte von Schwarzen, die, wie wir jetzt erkannten, in Scharen auf ihren Flößen von den Inseln im Süden herübergekommen waren, jedenfalls in der Absicht, sich an der Erstürmung und Plünderung der »Jane« zu beteiligen. Das Schiff lag noch friedlich in der Bucht vor Anker; unsre an Bord zurückgebliebenen Kameraden beschlich offenbar keine Ahnung der Gefahr, die ihnen drohte. Wie sehr sehnten wir uns danach, bei ihnen sein zu dürfen, ihnen zur Flucht zu verhelfen oder im Versuch einer Abwehr mit ihnen zu sterben! Wie konnten wir sie warnen, ohne unser augenblickliches Verderben herbeizuführen, wobei es noch zweifelhaft war, ob ihnen die Warnung genützt hätte? Das Abfeuern einer Pistole mochte genügen, um sie zu benachrichtigen, daß etwas Schlimmes vorgefallen war; aber dieser Schuß konnte ihnen nicht sagen, daß ihre Rettung allein im schleunigsten Verlassen des Hafens liege; er vermochte ihnen nicht mitzuteilen, daß die Ehre nicht länger ihre Anwesenheit erfordere, daß ihre Gefährten nicht mehr unter den Lebenden weilten. Besser vorbereitet auf jeden Angriff, als sie schon waren, als sie immer gewesen waren, würden sie auch nach jenem Zeichen nicht sein. Durch unser Schießen konnte nichts Gutes, nur unsagbar Trauriges entstehen, und nach reiflicher Überlegung standen wir davon ab.
    Unser nächster Gedanke war, strandwärts zu eilen, eines der vier Kanus loszumachen und damit das Schiff so rasch wie möglich zu erreichen. Aber wir sahen bald ein, daß dieser Plan sich niemals durchführen lassen würde. Wie ich schon sagte, wimmelte die Umgebung von Wilden, die, um nicht vom Schoner aus bemerkt zu werden, im Gebüsch und in den Klüften der Berge versteckt lagen. Gerade in unsrer unmittelbaren Nachbarschaft hielt eine ganze Abteilung von Schwarzfellkriegern unter dem Befehl Tuwits; sie versperrten uns den einzigen Weg, auf dem wir nach der Bucht hätten gelangen können, und warteten offenbar nur auf Verstärkung, um den Angriff auf die »Jane« zu eröffnen. Auch die Kanus an der Spitze der Bucht waren mit Eingebornen bemannt, die allerdings unbewaffnet waren, aber gewiß ihre Waffen in der Nähe hatten. Daher sahen wir uns gegen unsern Wunsch genötigt, in unserm Versteck zu bleiben als bloße

Weitere Kostenlose Bücher