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Edgar Allan Poe - Das gesamte Werk

Edgar Allan Poe - Das gesamte Werk

Titel: Edgar Allan Poe - Das gesamte Werk Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edgar Allan Poe
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Zurückbleibenden den Rest überlassen zu können. Diese waren John Carson, Alfred Harris und Peterson, lauter Londoner, glaub‘ ich; sie hatten sich freiwillig zu jenem Dienst gemeldet.
    Am Schlusse des Monats war alles zur Abfahrt bereit. Doch war ausgemacht worden, daß wir uns im Dorf förmlich verabschieden sollten, und Tuwit bestand mit solcher Hartnäckigkeit auf der Erfüllung unsres Versprechens, daß wir es nicht für richtig hielten, ihn durch eine Absage zu verletzen. Nicht einer von uns mochte damals an der Verläßlichkeit der Wilden zweifeln. Sie hatten sich durchaus anständig benommen, uns eifrig bei der Arbeit geholfen und oft, ohne eine Bezahlung zu fordern, das Gewünschte herangebracht; niemals hatten sie einen einzigen Gegenstand entwendet, obwohl sie durch ihre Freude über die Geschenke bewiesen, wie wertvoll ihnen unsre Waren erschienen. Die Frauen kamen uns in jeder Beziehung entgegen ... kurzum, wir hätten die mißtrauischsten aller Menschenkinder sein müssen, wenn wir bei einem Volk, das uns so gut behandelte, auch nur den Gedanken des Verrates für möglich gehalten hätten. Binnen kurzem aber sollten wir erkennen, daß dieses scheinbare Wohlwollen nur einem sorgsam ausgeheckten Plane zu unsrer Vernichtung entsprang und daß die Inselleute, die wir in so unverdienter Weise schätzten, in Wahrheit die barbarischsten, tückischsten und blutdürstigsten Halunken waren, die jemals das Angesicht der Erde befleckt haben.
    Am 1. Februar gingen wir an Land, um den versprochenen Besuch im Dorf zu erledigen. Obwohl wir, wie gesagt, nicht die Spur eines Verdachtes hegten, unterließen wir doch keine Maßregel nötiger Vorsicht. Sechs Mann blieben an Bord des Schoners, mit der Instruktion, keinen Schwarzen während unserer Abwesenheit an Deck zu lassen, unter welchem Vorwand es auch immer wäre, und ununterbrochen auf dem Verdeck zu bleiben. Die Kanonen waren mit Kartätschen doppelt geladen, das Enternetz war aufgezogen. Das Schiff lag vor senkrechtem Anker eine Meile vom Strand entfernt, und kein Kanu konnte sich ihm nähern, ohne dem Feuer der Drehbasse ausgesetzt zu sein.
    Die Expedition bestand aus zweiunddreißig Mitgliedern. Wir waren bis an die Zähne bewaffnet, mit Musketen, Pistolen, Hirschfängern; dann hatte auch jeder sein langes Seemannsmesser, das dem jetzt im Westen und Süden unsres Landes so beliebten Bowiemesser ähnelt, im Gürtel stecken. Hundert schwarzfellgeschmückte Krieger erwarteten uns am Strand, um uns das Geleit zu geben. Sie waren ohne Waffen, was uns sehr überraschte. Auf unsre Fragen erwiderte Tuwit nur: »Matti non vi pa pa si«, was etwa hieß: »Unter Brüdern sind Waffen überflüssig.« Wir freuten uns über solche Gesinnung und zogen arglos weiter.
    Wir hatten den neulich erwähnten Bach überschritten und betraten jetzt eine enge Schlucht, die eine Kette von Specksteinbergen in der Richtung des Dorfes durchbrach. Diese Schlucht war sehr felsig und uneben, so daß wir sie bei unserm ersten Besuch Klock-Klocks nicht ohne Mühe durchklettert hatten. Die Länge der Kluft mochte im ganzen anderthalb oder zwei Meilen betragen. Sie zog in allen möglichen Windungen zwischen den Hügeln hin – offenbar hatte sie in längst vergangener Zeit das Bett eines Bergstroms gebildet –, und alle zwanzig Ellen machte sie eine plötzliche, scharfe Wendung. Die Seiten der Schlucht stiegen überall mindestens bis zu siebzig, achtzig Fuß lotrecht empor, und an einigen Stellen erhoben sie sich zu schwindelnder Höhe und überschatteten den Pfad so vollständig, daß vom Licht des Tages nicht viel herabzudringen vermochte. Die Durchschnittsbreite betrug vierzig Fuß; manchmal verengte sich die Kluft so sehr, daß nur fünf oder sechs Mann nebeneinander gehen konnten. Kurz, einen Ort, der sich mehr zu Überfällen eignete, konnte man sich gar nicht denken, und es war nur selbstverständlich, daß wir beim Betreten der Schlucht nach unseren Waffen sahen. Wenn ich jetzt unserer fabelhaften Torheit gedenke, wundre ich mich am meisten darüber, daß wir unter irgendwelchen Umständen uns so vollständig in die Macht unbekannter Wilder begeben konnten, daß wir ihnen sogar gestatteten, während unsres Marsches durch die Schlucht sowohl vor als hinter uns zu gehen. Doch in dieser Ordnung zogen wir Verblendeten dahin, törichterweise auf die Waffenlosigkeit Tuwits und seiner Leute, die Treffsicherheit unsrer Gewehre, deren Wirkung den Schwarzen noch ein Geheimnis war, und

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