Edgar Wallace - Der grüne Bogenschütze
wenn die Todesstrafe in Betracht kommt.«
»Sicher handelt es sich um ein Kind« meinte Spike. »Obwohl ich nicht behaupten will, daß Sie kein Herz für Erwachsene haben oder sich nicht über die Ermordung irgendeines fetten Mannes aufregen würden, schließe ich doch aus Ihren Worten, daß ein Kind im Spiel war.«
»Ja, er hat ein Kind umgebracht, ein Kind, an das ich mich dunkel erinnere. Ob er oder einer seiner Helfershelfer dafür verantwortlich ist, weiß ich nicht. Er haßt Kinder. Ich bin neugierig, ob Sie mein Telegramm ernst nehmen, in dem ich Sie fragte, ob Bellamy sich für kleine Kinder interessiert? Es war ein grimmiger, vielleicht ein törichter Scherz. Ich sandte es Ihnen aus dem Impuls des Augenblickes heraus. Abel Bellamy würde lieber seinen letzten Dollar in die See werfen, als einem Kind auch nur mit ein paar Cent helfen!«
»Können Sie mir nicht erzählen, was er getan hat – war es in Amerika?«
»Ja, in Amerika, vor vielen Jahren. Aber ich fürchte, daß ich schon zuviel gesagt habe. Früher oder später werde ich auch die Beweise dafür in der Hand haben. Zwei Leute arbeiten schon seit zwei Jahren in meinem Dienst auf Grund der Angaben, die ich machen konnte. Einer lebt in London, der andere in Amerika.«
»Er hatte einen bösen Streit mit dem Vormundschaftsgericht in Amerika?«
»Ich weiß um die Geschichte, aber das hat nichts mit dem Fall zu tun, den ich meine. Es war auch noch eine andere Geschichte in den Staaten. In New York hätte er auch beinahe einmal einen Bürojungen umgebracht – er warf ihn eine hohe Steintreppe hinunter. Ich kenne die öffentlichen Akten Mr. Bellamys sehr genau, aber ich bin hinter seinen geheimen Privatakten her, die ich gerne ausfindig machen möchte. Der Mann ist ein brutaler Mensch. Aber er hat sich nicht allein gegen Kinder vergangen, einmal mußte er sogar fünftausend Dollar bezahlen, nur um eine Klage beizulegen, die sein Kammerdiener gegen ihn erhob. Seit der Zeit hält er sich keinen mehr.«
»Unser Herrgott hat merkwürdige Geschöpfe geschaffen« meinte Spike.
»Und der Teufel noch schlimmere« erwiderte John Wood. Sein schönes Gesicht verdüsterte sich. »Er machte manche Menschen zu Tieren.«
Spike stellte jetzt endlich die Frage, die er sich schon auf der ganzen Herreise überlegt hatte.
»Glauben Sie, daß der Grüne Bogenschütze eins seiner Opfer ist?«
John Woods Stirn glättete sich.
»Viele Leute glauben« sagte er etwas spöttisch, »daß der Grüne Bogenschütze die Erfindung eines gewissen Zeitungskorrespondenten ist – es wäre unhöflich, seinen Namen Ihnen gegenüber zu nennen!«
»Ich wäre glücklich, wenn ich der Verfasser einer Geschichte wäre, die ganz England zum Besten hielt« gestand Spike. »Aber unglücklicherweise trägt der Grüne Bogenschütze selbst die Verantwortung dafür.«
Nun erzählte er die Begebenheit von dem letzten Erscheinen des Bogenschützen, und John Wood fragte ihn genau nach allen Einzelheiten aus.
»Wer sah denn das ›Gespenst‹ mit Ausnahme von Abel Bellamy?«
»Niemand, vielleicht hat er die ganze Sache selbst ausgedacht.«
»Das scheint mir nicht sehr wahrscheinlich.« John Wood schüttelte den Kopf. »So raffiniert ist Bellamy nicht, er ist ganz vertiert. Diese Vermutung können Sie ruhig fallen lassen, der Grüne Bogenschütze wird schon wirklich existieren, wenn Bellamy ihn gesehen hat.«
Sein Gesicht verfinsterte sich wieder und er lehnte sich in tiefen Gedanken in seinen Stuhl zurück. Plötzlich erhob er sich, ging zu einem Geldschrank am Ende des Raumes und öffnete ihn. Einige Zeit blieb er dort stehen, und als er wieder zum Schreibtisch zurückkam, hielt er etwas in der Hand.
Spike hatte sich erhoben, um sich zu verabschieden. Er hatte nur wenige Stunden zur Verfügung, und die Besprechung der Artikel hatte viel Zeit gekostet.
»Sehen Sie einmal dies an, Holland.«
Er zeigte ihm einen beschmutzten und verfärbten Kinderschuh aus weichem, weißen Ziegenleder.
»Eines Tages werde ich Abel Bellamy diesen Schuh vor einem amerikanischen Gericht zeigen, wenn man ihn nicht schon vorher überführt – und das wird für ihn ein schrecklicher Tag werden!«
In diesem Augenblick kam die alte Frau wieder in den Raum. Ein breites Lachen lag auf ihrem einfachen Gesicht, und sie trug ein kleines weißes Bündel in ihren Armen.
»Monsieur, der kleine Allemand will nicht schlafen, bevor er Sie gesehen hat.«
Sie hielt ein rosiges kleines Kind mit großen, leuchtenden Augen in
Weitere Kostenlose Bücher