EduAction: Wir machen Schule (German Edition)
sondern als ersten Schritt zur Hilfe die Selbsthilfe anzuwenden. Das ist einigen Schülern unbequem, sie müssen das aktive Handeln erst üben. Hier ist die Jahrgangsmischung von großem Vorteil, da die jüngeren Schüler sich an den älteren orientieren können. In diesem Prozess erhalten sie regelmäßige Unterstützung in den Tutorengesprächen, die ihre Klassenlehrer mit ihnen führen.
Wie funktioniert das individuelle Lernen und die Binnendifferenzierung?
Entsprechend dem Rahmenlehrplan ist eine bestimmte Anzahl von Bausteinen vorgeschrieben, die pro Schuljahr bearbeitet und erfolgreich abgeschlossen werden müssen. Bei manchen ist eine Reihenfolge vorgegeben, da sie aufeinander aufbauen, bei anderen haben die Schüler freie Wahl. Wie viel Zeit jedoch auf einen Baustein verwandt wird, liegt weitgehend beim Schüler. Wer beispielsweise in Englisch sehr gut ist und in Mathe Schwierigkeiten hat, hat die Möglichkeit, mehr Zeit im Mathe-Lernbüro zu verbringen, zusätzliche Übungen zu machen oder sich den Stoff nochmals erklären zu lassen, bevor er sich zum Test anmeldet. Die klassische Situation im herkömmlichen Matheunterricht ist: Einer hat es immer noch nicht verstanden, und die anderen sitzen da und langweilen sich. Oder aber der Langsamere bleibt zurück und hat binnen kürzester Zeit den Anschluss verloren – und die Motivation, sich weiter anzustrengen.
In Lehrerfortbildungen wird an dieser Stelle regelmäßig gefragt, ob man nicht für jeden Schüler einen individuellen Test entwickeln müsse, weil sie zeitlich versetzt schreiben. Nein, muss man nicht. Zum einen, weil bis zur Klasse 9 keine Noten vergeben werden und dies dazu führt, dass das Denken, besser als andere sein zu wollen, so gut wie ausgeschaltet ist. Den viel wichtigeren Grund nennt aber die Elftklässlerin Shana: »Klar könnte man sich die Ergebnisse weitersagen, das passiert vielleicht auch mal. Aber man merkt dann schon irgendwann, dass man sich damit selbst betrügt. Anfangs kann man sich vielleicht noch durchwurschteln, aber die Sachen bauen ja aufeinander auf, und irgendwann muss ich sie verstanden haben.«
Nicolas, der auch zum ersten Jahrgang gehört, wechselte im zweiten Halbjahr der 7. Klasse von einem Superschnellläufer-Gymnasium auf die esbz. »Weil ich vorher den Stoff so eingetrichtert bekommen hatte, konnte ich viele Bausteine ganz schnell machen. Wahrscheinlich war ich ein bisschen gelangweilt und hab dann allen möglichen Quatsch gemacht. Aber das hat sich alles ziemlich gut entwickelt. Den größten Unterschied sieht man von der 9. in die 10. Klasse, wenn man sich mein Zeugnis anguckt. Ich denke also, dass die Schule einen ziemlich guten Einfluss auf mich hat.«
In den vergangenen Jahren haben Eltern immer wieder die Sorge geäußert, ob ihre Kinder – bei all den vermittelten Metakompetenzen (die ja ein wichtiger Grund für die Wahl dieser Schule waren) – denn auch genug »Stoff« lernen. Im Jahr 2011 konnten wir uns nun zum ersten Mal mit anderen Berliner Schulen vergleichen: Unser erster Jahrgang hat die landesweiten zentralen Abschlussprüfungen geschrieben und dabei überdurch schnittlich abgeschnitten. Auch bei den VERA-8-Vergleichsarbei ten haben unsere Jugendlichen bisher weit überdurchschnittlich gut abgeschnitten. Im Februar 2012 erhielten wir die Ergebnisse der wissenschaftlichen Begleitforschung für das Pilotprojekt der Berliner Gemeinschaftsschulen. Untersucht wurde der Lernzuwachs in Lesekompetenz, Rechtschreibung, Englisch, Mathematik und Naturwissenschaften bei den Jahrgängen 7 bis 9 im Vergleich zu Schulen in Hamburg mit vergleichbaren Eingangsvoraussetzungen sowie vergleichbaren Berliner Schulen. In allen untersuchten Bereichen schnitt die esbz mindestens genauso gut ab, in vielen sogar signifikant besser.
Trotzdem wird uns die Frage, ob die Kinder dem späteren Leis tungsdruck werden standhalten können, wenn sie bis Klasse 9 kei ne Noten bekommen, immer wieder gestellt. Dazu sagt Dorothea Kleihues, Gesamtelternvertreterin an unserer Schule: »Ich glaube, die größte Herausforderung für Eltern ist es, die Kinder auch mal zu lassen. Man muss auch mal zulassen können, dass die scheitern. Ich kann ja nicht mein Leben lang neben meinem Kind stehen. Je eher ich es schaffe, ihm den Raum zu geben, sich selbst zu entwickeln und zu lernen, wie teile ich mir das ein, wie arbeite ich am besten, umso besser.«
Andere Eltern beobachten an ihren Kindern, dass sie genau davon profitieren, nicht nur
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