EduAction: Wir machen Schule (German Edition)
verteilen. Aus drei Klassen werden so vier Lernbüros, was die Anzahl der Kinder pro Lernbüro reduziert.
Dort erwarten sie jeweils die Lehrer, und sie finden die sogenannten Bausteine mit dem Lehrstoff der Stufen 7 bis 9 vor, mit denen sie arbeiten können. Ein Baustein besteht aus einem Karteikasten mit Karten, auf denen das jeweilige Thema aufbereitet ist, mit Erklärungen und Aufgaben, oft mit Zusatzmaterialien, häufig mit Selbstkontrolle. Die Materialien für die Lernbüros haben die Lehrer der esbz selbst hergestellt, in Anlehnung an den Rahmenplan und an Schulbücher. Sie sind ähnlich aufgebaut wie Unterrichtseinheiten – zum Beispiel gibt es in Geschichte eine zum deutschen Kaiserreich –, mit dem Unterschied, dass die Schüler sie eigenständig erarbeiten und eine Selbstkontrolle durchführen.
Wenn Fragen auftauchen, wenden sich die Schüler zunächst an Mitschüler – das ist eine feste Regel an der esbz. Wir haben eigens auch Bausteinpaten ernannt, die in bestimmten Themen fit sind und anderen helfen können. Nur wenn das Problem auf diese Art nicht geklärt werden, hilft der Lehrer weiter. Durch dieses neue Verhältnis wird der (Be-)Lehrer ganz automatisch zum Coach. Und die Lehrer-Coachs machen nebenbei eine sehr schöne Erfahrung: Sie sind plötzlich immer gefragt, statt »da vorne zu nerven«. Die Schüler kommen zu ihnen und freuen sich, wenn sie Unterstützung bekommen. Hier hat der mentale Wechsel von »Du sollst« (der Lehrer steht vorne und gibt vor, was passiert) zu »Ich kann!« stattgefunden. Oder wie ein Schülervater einmal sagte: »Das Motto an der esbz hieß lange vor Obama ›Ich kann!‹.«
Wir sehen in den jungen Menschen nicht Schüler im tradierten Sinne, sondern engagierte junge Menschen mit Entdeckungsfreude und Gestaltungsmut, die Potenziale mitbringen und weit mehr können, als Erwachsene ihnen oft zutrauen. Die jungen Menschen lernen bei uns so individuell wie möglich, aber gleichzeitig immer auch gemeinsam.
Durch das Prinzip Lernbüro und Coach steht jedes Kind mit seinen Stärken im Mittelpunkt, es wird ernst genommen und darf ohne Versagensangst und mit Anspruch sein Potenzial entfalten. Vom Objekt, das mit Lehrstoff befüllt wird, wird es durch eine Vielzahl von Gestaltungs- und Entscheidungsmöglichkeiten zum Subjekt seines Lernprozesses.
Es kann täglich wählen, welches Fach es besucht.
Es kann nach seinem eigenen Tempo und Rhythmus lernen.
Es kann unterschiedlich viel Zeit in die einzelnen Fächer investieren.
Es kann auf unterschiedlichen Niveaus und Zugängen arbeiten, entsprechend seinen individuellen Fähigkeiten.
Es kann Aufgaben mit unterschiedlichem Schwierigkeitsgrad bearbeiten.
Es kann selbständig und im Team Bausteine erarbeiten.
Es kann selbst entscheiden, wann es im Stoff weit genug ist, um den Lernnachweis zu erbringen.
Aus der Hirnforschung wissen wir, dass Begeisterung eine Grundvoraussetzung für erfolgreiches und nachhaltiges Lernen ist. Wer, wie oben beschrieben, seinen individuellen Fähigkeiten entsprechend arbeiten darf und dabei die Erfahrung macht, dass seine Stärken gesehen und seine Schwächen gefördert werden, wird mit sehr viel mehr intrinsischer Motivation dabei sein.
Natürlich sind wir Erwachsenen geprägt von unserer eigenen Schulbildung. Umso wichtiger ist es, sich für Neues zu öffnen. Wir müssen weggehen vom Lehr-Paradigma zum Lern-Paradigma – da sind wir an dieser Schule einfach schon weiter.
Caroline Treier, pädagogische Leiterin
Je nach Aufgabe auf der Bausteinkarte haben die Schüler auch die Freiheit, ihren Lernort oder Lerninhalt selbst festzulegen. Wer beispielsweise in Deutsch gerade eine Ballade einstudiert, darf sich dazu auch auf sein Skateboard auf dem Schulhof stellen oder auf die Treppe setzen. Auch die Ballade ist frei wählbar und wird im Rahmen des regulären Lernnachweises der ganzen Klasse vorgestellt – so verhilft Wahlfreiheit zu mehr Abwechslung und neuem Wissen. Wer englische Konversation übt, tut dies nicht im Klassenraum, wo die Schüler möglichst still arbeiten sollen, sondern auf dem Flur oder einer Bank auf dem Schulhof. Gerade Jungs in der Pubertät, die oft Schwierigkeiten haben, längere Zeit still zu sitzen, werden durch dieses »mobile« Lernen ausgeglichener und »stören« weniger.
Viele Kinder müssen sich erst an das selbständige Arbeiten gewöhnen, daran, ihr Lernmaterial selbst zusammenstellen zu müssen oder ihre Fragen nicht sofort vom Lehrer beantwortet zu bekommen,
Weitere Kostenlose Bücher