Egeland, Tom
Unsere Zivilisation ist ein Salat aus römischen, griechischen und christlichen Werten und Bräuchen. «
» Wenn wir zurückgehen zum Standort der Bibel und ihrer Rolle in diesem Prozess, so vergingen beinahe vierhundert Jahre nach Jesu Geburt, bis die Bibel, wie wir sie heute haben, anerkannt wurde. Aber auch viele der Texte, die ins Neue Testament aufgenommen wurden und heute als zentral gelten, waren höchst umstritten. «
» Wer hat diese Dinge bestimmt? «
» Die Geistlichen natürlich, die Urkirche. «
» Die Priester …? «
» Genauer gesagt, die Bischöfe. Die ihre Autorität direkt von den Aposteln erhalten hatten. «
» Wie der Papst? «
» Das gleiche Prinzip. Die Bischöfe stritten heftig darüber, was in die Bibel aufgenommen werden sollte. Die Textsammlung, die die heutige Bibel ausmacht, wurde im Jahre 382 von der Synode in Rom angenommen und 393 auf der Synode in Hippo Regius und noch einmal vier Jahre später auf der Synode in Karthago bestätigt. Es war ganz sicher nicht Gott, der die Bibel redigiert hat. Das waren die Bischöfe. Und später die Glaubensgemeinschaften. So erkennen die Protestanten nicht wie die Katholiken alle Texte des Alten Testaments an. Die evangelische Kirche bezieht sich auf einen alttestamentarischen Kanon, den hebräische Gelehrte im Jahre 90 n. Chr. in Jamnia zusammengestellt hatten. Diese Gelehrten hatten nur die neunundreißig Schriften akzeptiert, die in hebräischer Sprache und auf dem Territorium Palästinas verfasst worden waren. Der Kanon der römisch-katholischen Kirche wurde zweihundert Jahre vor Christi Geburt in Alexandria ins Griechische übertragen und umfasste sechsundvierzig Schriften. Es ist diese Version, auf die sich das Neue Testament mehr als dreihundertmal bezieht. Und dabei haben wir die Heiligen Schriften der Juden noch gar nicht berücksichtigt! «
Ich kann mir mein Grinsen nicht verkneifen: » Ich stelle mir gerade dicke Geistliche vor, die in aller Seelenruhe Texte aus der Bibel entfernen und andere hinzufügen. «
Peter zieht die Luft durch seine Schneidezähne ein.
» Eine etwas flache, vereinfachte Auffassung. Aber nicht ohne einen Funken Wahrheit. «
» Mächtige Männer. «
» Mächtig, berechnend, zielbewusst. Welche Motive hatten sie? Waren sie gläubig? Waren sie Christen? Waren es Scharlatane, die den neuen Glauben als Sprungbrett für ihre eigenen Ambitionen benutzten? «
» Warum fragen Sie? Es ist so, wie es ist. «
» Weil wir uns die Frage stellen müssen, ob die Schriften in der Bibel ein repräsentatives Bild von der Lehre Jesu zeichnen. «
» Das müssen sie doch. Immerhin stehen sie in der Bibel. «
» Hmm. Und was, wenn Auswahl und Überarbeitung der Schriften im Neuen Testament ein politischer Prozess waren? Ein Glied im Kampf um die Vormacht? Bereits nach Jesu Tod spaltete sich die Kirche in Gemeinden und Sekten mit ganz verschiedenen theologischen Ansichten. Und stell dir weiter vor, dass die Schriften, die schließlich ausgesucht wurden, diejenigen waren, die am besten zu den Ambitionen der Bischöfe und der Kirche passten. Ich stelle es nur in den Raum. «
Ich versuche zu verdauen, was er sagt. Misstrauen keimt in meinem Bauch. Ich bekomme ihn noch nicht richtig zu fassen, aber ich habe den Verdacht, dass Peter Jude ist. Dass das Schimmer-Institut jüdisch ist. Und dass etwas im Schrei n b eim Kloster Værne die jüdische Auffassung der Bibelgeschichte stützen könnte.
» Wollen Sie damit sagen, die Bibel zeichnet ein falsches Bild von dem, was geschehen ist? «, frage ich.
Er gibt einen lang gezogenen, summenden Laut von sich.
» Ich stelle Fragen … Ich frage mich lediglich, ob die Auswahl der biblischen Schriften ein vollständiges und richtiges Bild der Lehre Jesu zeichnet. Ich frage mich, ob jemand das Bedürfnis hatte, die neue Religion so auszulegen, dass sie den persönlichen Zielen der Bischöfe und der Kirche auf die Sprünge half. «
Ich hebe die Schultern. » Manche werden ohnehin behaupten, die Bibel sei ein Buch darüber, wie die Juden ihr Dasein und ihre Zeit gesehen haben. «
Peter greift nach seinem Glas, entscheidet sich dann aber anders. » Und nicht zu vergessen: ein Satz von Lebensregeln «, sagt er.
Ich leere mein Cognacglas und stehe auf. Ich bin müde. Ich habe genug von der Bibelgeschichte. Jetzt will ich schlafen.
» Ich selbst «, sagt er, » bin durchaus bereit, das Christentum als einen zweitausend Jahre alten Aberglauben aus dem Nahen Osten zu betrachten. «
5
EIN
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