Egeland, Tom
EIGENTüMLICHER GERUCH nach Papier und verbranntem Karamell liegt in der Bibliothek des Schimmer-Instituts. Es ist früher Morgen. Das Wüstenlicht fällt durch die Glaskuppel in der Decke und ruht in schrägen Säulen auf den Regalbrettern. Der Staub schwebt über Reihen von Büchern und Schachteln mit Manuskripten auf Papyrus, Pergamen t u nd Papier. Gebeugt über ihre Pulte sitzt eine Menagerie von Forschern und Studenten: langhaarige Amerikaner, orthodoxe Juden, Frauen mit Schal und Pferdeschwanz, energische Asiaten und kleine Männer mit Brille, die frenetisch Bleistift kauen. Mir wird bewusst, dass ich hier rasch zu einem natürlichen Teil einer leicht exzentrischen Umgebung werde.
Die Büchersammlung und die meisten Manuskripte beziehen sich auf den Nahen Osten, Kleinasien und Ägypten. Es gibt eigene Sektionen für Bücher in Sprachen, deren Zeichen ich nicht einmal kenne. Die Sammlung englischsprachiger Fachliteratur ist überraschend klein.
Und überall: Frauen und Männer verschlossen in ihren eigenen Welten aus Spezialgebieten und seltenen Fachrichtungen. Menschen, deren Identität es ist, führender Experte der obskursten Themen zu sein –sumerische Keilschrifttafeln, die Frage nach dem eigentlichen Verfasser des Pentateuch, die Deutung altbabylonischer Mythen und die Auswirkungen ägyptischer Todesriten auf die vorchristlichen Dogmen. Wie ein verwirrter kleiner Schuljunge, der nicht weiß, wo er hinsoll, laufe ich durch diesen Äther aus Wissen. Ich bin kein Experte für irgendetwas. Verzweifelt beginne ich, mich über unser grenzenloses Verlangen, alles über das Vergangene zu erfahren, zu wundern. Plötzlich bin ich der Archäologe, der fragt, warum wir so viel über die Vergangenheit herausfinden müssen, wo wir doch so wenig über die Gegenwart wissen.
Ich bemerke Peter erst, als ich fast in ihn hineinlaufe. Er steht auf den Zehenspitzen und sucht nach einem Buch der Rubrik » Ancient Mythology: Egypt-Greece «. Wir grüßen einander. Er lächelt unergründlich, als erfülle ihn mein Anblick immer wieder mit Freude. » Danke für gestern Abend «, sagt er und zwinkert mir zu. » Wollen wir nicht endlich zum Du übergehen? «
» Ich habe zu danken, gern. «
» Und wie geht ’ s heute? «
Das Letzte ist eher als Spaß zu verstehen. Vielleicht findet er, dass ich ein bisschen blass aussehe.
Wir gehen ein Stück weiter, damit wir all jene, die sich in ihre Bücher vertieft haben, nicht stören. » Kopfweh! «, sagt er mit einem künstlichen Seufzen.
An einem Tisch mit Mikrofilmen bleiben wir stehen. Sehen einander prüfend an. Wie zwei Frischverliebte, die sich fragen, wie ernst der andere den letzten Abend genommen hat.
» Du hast mir etwas erzählt «, sage ich prüfend.
» Habe ich das? My oh my. Sicher habe ich viel zu viel gesagt. Ich rede immer zu viel, wenn ich getrunken habe. Ich muss dich bitten, das alles mit Diskretion zu behandeln. «
» Du weißt, dass du mir vertrauen kannst. «
» Tue ich das? Ich weiß im Grunde kaum etwas über dich. Aber du hast Recht, ich vertraue dir. «
» Was du gesagt hast, hat mich neugierig gemacht. «
» Das ist nicht weiter erstaunlich. Auch wenn ich nicht weiß, was ich gesagt habe. Oder niemals hätte sagen sollen. « Leise lachend lässt er seinen Blick durch die Bibliothek schweifen.
» Komm! « Er nimmt meinen Arm und führt mich durch ein Labyrinth aus Fluren und Treppen hinauf und hinunter, durch diverse Durchgänge bis zu einem kleinen Büro mit seinem Namen an der Tür. Der Raum ist länglich und schmal, voller Bücher und Papierstapel. Vor dem Fenster hängt eine Gardine. An der Decke rotiert ein Ventilator.
Er seufzt zufrieden. » Hier! Hier können wir besser reden «, sagt er und lässt sich auf seinen Stuhl fallen. Ich selbst versinke tief in einer Art Sitzsack, der auf der anderen Seite seines Schreibtisches steht. Nur mit Mühe gelingt es mir, mic h e inigermaßen aufzurichten, damit ich ansatzweise bequem sitzen kann und nicht zu unwürdig wirke.
» Also, was verbirgt sich in all diesen Manuskripten, die ihr hier untersucht? «, frage ich.
» Details. Details und noch einmal Details. Aber eins steht fest: Die meiste Zeit verwenden wir darauf, alte Manuskripte noch einmal durchzuarbeiten. «
» Noch einmal. Warum? «
» Weil wir gelernt haben. Wir wissen mehr als diejenigen, die sie zuletzt durchgearbeitet und übersetzt haben. Wir lesen und übersetzen mit dem Wissen des heutigen Tages. Wie präzise sind die
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